Leitsätzliches
1) Das ungefragte Übersenden von Textnachrichten, Bildern und eines Videos mit anzüglichem Inhalt, kann daher eine Geldentschädigung begründen.2) Die vorsätzliche Übersendung sexualisierter Nachrichten und Bilder verletzt die sexuelle Selbstbestimmung und Intimsphäre der betroffenen Person, auch wenn die Kommunikation im Zweipersonenverhältnis erfolgt.
3) Mehrere, einzeln möglicherweise nicht entschädigungswürdige Beleidigungen können in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen und somit eine Geldentschädigung rechtfertigen.
4) Für die ungefragte Übersendung von sogenannten "Dickpics" also des Gliedes des Beklagten erachtet das Gericht einen Entschädigungsbetrag in Höhe von 1.000,00 € als angemessen

LANDGERICHT STRALSUND
IM NAMEN DES VOLKES
(TEILVERSÄUMNIS-)
URTEIL
vom 6.6.2024
Aktenzeichen: 4 O 19/24
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.381,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.01.2024 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Zahlungsansprüche der Klägerin aus dem Tenor zu 1. auf einer vorsätzlichen deliktischen Handlung des Beklagten beruhen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 60 % und der Beklagte 40% zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf bis 13.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten Geldentschädigungsansprüche aufgrund mehrerer Verletzungen des Persönlichkeitsrechts der Klägerin geltend.
Die Klägerin ist durch Auftritte in der Serie … … einem breiten Publikum bekannt. Auf ihrem Instagram-Account folgen ihr mehr als eine halbe Million Follower.
Unter dem 11.04.2023 übersandte der Beklagte der Klägerin als Antwort auf verschiedene Instagram-Stories Textnachrichten mit dem Wortlaut „Fick mich bby“, „Press dein arsch an mein Schwanz“ und „Zwischen deinen titten Spritzen“.
Am 04.06.2023 übersandte der Beklagte der Klägerin fünf Fotos mit Bildern von einem entblößten Penis in verschiedenen Erektionsstadien. In der Folge stellte die Klägerin am 06.06.2023 Strafanzeige gegen den Beklagten. Er wurde diesbezüglich am 12.09.2023 von der Polizei vernommen.
Am 19.08.2023 übersandte der Beklagte der Klägerin ein Video mit einer Dauer von einer Minute und 17 Sekunden, bestehend aus einer Collage von Wiederholungen von Bildnissen der Klägerin, eigenen Penisfotos und einem eigenen Masturbationsvideo.
Der Beklagte ist mit der Klägerin nicht bekannt und stand vor Übersendung der Nachrichten in keinem Kontakt mit der Klägerin.
Gegen den Beklagten wurde aufgrund der Vorfälle am 20.10.2023 durch das Amtsgericht Stralsund ein rechtskräftiger Strafbefehl in Höhe von 80 Tagessätzen erlassen. In dem Verfahren 4 O 106/23 wurde dem Beklagten durch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 08.12.2023 aufgegeben, das inkriminierte Verhalten zu unterlassen.
Mit Schreiben vom 21.12.2023 forderte der Unterzeichner den Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 10.000,00 € sowie zur Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 818,20 € auf unter Fristsetzung zum 05.01.2024.
Die Klägerin beantragt durch Versäumnisurteil,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine Geldentschädigung zu bezahlen, deren Höhe in das billige Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch € 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.01.2024.
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 818,20 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.01.2024 zu bezahlen.
3. festzustellen, dass die Zahlungsansprüche der Klägerin gemäß den beiden Klageanträgen I. und II. und aus der Kostenentscheidung dieses Rechtsstreits gemäß Ziffer IV. der Klageanträge auf einer vorsätzlichen deliktischen Handlung des Beklagten beruhen.
Der Beklagte hat sich in dem Verfahren nicht über einen Anwalt geäußert.
Gründe
I. Die Klage ist teilweise unbegründet.
1. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Geldentschädigung aus §§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 184 Abs. 1 Ziff. 6, 185 StGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB iVm Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG besteht in Höhe von 4.000,00 €.
Der Beklagte hat mit dem beanstandeten Verhalten in einer Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen, die eine Geldentschädigung unabweisbar macht.
A) Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen kommt eine Geldentschädigung zum Ausgleich für erlittene Persönlichkeitsrechtsverletzungen dann in Betracht, wenn es sich um eine schuldhafte, schwerwiegende Verletzung handelt und wenn sich die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgleichen lässt. Die Gewährung des Anspruchs auf eine Geldentschädigung findet ihre Rechtfertigung in dem Gedanken, dass der Verletzte andernfalls wegen der erlittenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts ohne Rechtsschutz und damit der vom Grundgesetz vorgesehene Schutz der Persönlichkeit lückenhaft bliebe. Aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung und des Fehlens anderweitiger Ausgleichsmöglichkeiten muss dabei ein unabwendbares Bedürfnis für einen finanziellen Ausgleich bestehen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.08.2003, 1 BvR 1338/00; Beschluss vom 14.02.1973, 1 BvR 112/65; BGH, Urteil vom 17.12.2013, VI ZR 211/12, Urteil vom 15.11.1994, VI ZR 56/94).
Ob ein derart schwerer Eingriff anzunehmen und die dadurch verursachte nicht vermögensmäßige Einbuße auf andere Weise nicht hinreichend ausgleichbar ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen. Außerdem ist der besonderen Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Rechnung zu tragen, die sowohl in einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff besteht als auch ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken findet, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen anderenfalls ohne ausreichenden Schutz bliebe (BGH, Urteil vom 21.04.2015, VI ZR 245/14; Urteil vom 17.12.2013, VI ZR 211/12; OLG Dresden, Beschluss vom 30.07.2018, 4 U 620/18; OLG Köln, Urteil vom 12.07.2016, 15 U 176/15).
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, weil dieser und die damit zusammenhängenden Ordnungsmittelandrohungen den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen können (BGH, Urteil vom 15.09.2015, VI ZR 175/14; Urteil vom 21.04.2015, VI ZR 245/14; Beschluss vom 30.06.2009, VI ZR 340/08).
B) Eine Anspruchshöhe von 4.000,00 € erachtet das Gericht in Anbetracht der dargelegten Umstände als angemessen, aber auch ausreichend, um die erlittene Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin auszugleichen.
aa) Hinsichtlich der Übersendung der Textnachrichten ist nach den benannten Maßstäben die Zahlung einer Geldentschädigung nicht erforderlich. Bei den beanstandeten Äußerungen handelt es sich zwar um sexualisierte Beleidigungen. Durch das Übersenden der Nachrichten impliziert der Beklagte, dass diese der Klägerin willkommen seien bzw. sich diese bieten lassen müsse. Er objektiviert die Klägerin und degradiert sie zum Objekt seiner sexuellen Begierde. Dies verletzt die Klägerin besonders schwer in ihrer Intimsphäre und ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht. Dabei kann es dahinstehen, inwieweit die vom Beklagten geforderten Handlungen als „besonders ekelerregend“ einzustufen sind. Sexualität wird auf verschiedenste Weise ausgelebt. Das Recht der sexuellen Selbstbestimmung beruht gerade auf der wertungsfreien Annahme, dass es jedem Menschen frei steht, seine persönliche Sexualität frei zu entfalten, aber auch davon frei zu sein, ungebeten mit abweichenden Vorstellungen konfrontiert zu werden. Insofern muss eine Abwägung der Geldentschädigung nach der Schwere der aufgeworfenen Sexualpraktiken unterbleiben.
Die vorsätzliche, sexualisierte Beleidigung erfolgte aber ohne Breitenwirkung in der Öffentlichkeit. Zwar ist der Schutz der Persönlichkeit unabhängig davon, wie viele Personen an der Kommunikation teilnehmen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.04.2004, 1 BvR 2098/01). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch übersenden der Textnachrichten erweist sich insoweit auch im Zweipersonenverhältnis als rechtswidrig. Indessen ist in diesem konkreten Einzelfall ein Bedürfnis für eine Geldentschädigung nicht gegeben. Die Klägerin erfährt für das Versenden der Textnachrichten hinreichende Genugtuung durch den rechtskräftigen Unterlassungstitel. Eine darüber hinausgehende Genugtuung oder Präventionswirkung ist aufgrund der Strafbewehrung nicht erforderlich.
Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus dem in Bezug genommenen Strafbefehl des Amtsgerichtes vom 20.10.2023. Gegenstand des Strafbefehls war entgegen der Ausführungen der Klägerin nicht Textnachrichten, sondern die Übersendung von Fotos und Videos.
bb) Der Unterlassungstitel bietet jedoch keinen hinreichenden Ausgleich für die ungefragt übersandten Fotos und das Video. Insoweit war auch zu beachten, dass jedenfalls mehrere Beleidigungen in Folge, welche jede für sich genommen nicht geeignet sind eine Geldentschädigung nach sich zu ziehen, kumulativ eine solche rechtfertigen können (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.07.2009, 16 U 15/09). Die Handlungen übersteigen in ihrer Intensität die bloße Beleidigungshandlung und erfordern eine entschiedenere Antwort des Rechtsstaats zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als einen strafbewehrten Unterlassenstitel. Andere Möglichkeiten der Genugtuung sind nicht ersichtlich. Eine Entschuldigung des Beklagten hat es bislang nicht gegeben. Dieser wirkte in der mündlichen Verhandlung zwar bedrückt. Indessen hat er nicht deutlich gemacht, ob dies von echter Reue oder von den juristischen Konsequenzen seiner Handlung herrührte. Das Verhalten des Beklagten war vorgerichtlich und auch im Rahmen der Zivilverfahren geprägt von einer fehlenden Verantwortungsübernahme des Beklagten.
Bei der konkreten Bemessung der Geldentschädigung ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Dateien jeweils als Direktnachricht an die Klägerin übersandte. Die Verbreitung ist denkbar gering. Eine nachhaltige und fortdauernde Interessen- oder Rufschädigung der Klägerin liegt, anders als in den von der Klägerin beispielhaft angeführten Urteilen, nicht vor.
Erhöhend ist jedoch zu beachten, dass alle Handlungen des Beklagten erfolgten, ohne dass die Klägerin dem Beklagten hierzu Anlass gab. Vielmehr konnte der Beklagte aus dem Umstand, dass die erstmalige Übersendung der Bilder keine direkte Kontaktaufnahme der Klägerin mit dem Beklagten bewirkte, zweifelsfrei schlussfolgern, dass die Übersendung durch die Klägerin nicht erwünscht war. Der Beklagte setzte seine Handlungen, ungeachtet des fehlenden Einverständnisses der Klägerin mit einer erheblichen Beharrlichkeit fort. Er handelte mit Vorsatz. Dabei geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass der Beklagte bei Übersendung des Videos bereits Kenntnis von den gegen ihn eingeleiteten juristischen Schritten hatte. Der Akte lässt sich nur der Zeitpunkt der polizeilichen Vernehmung entnehmen, welche nach Übersendung des Videos stattfand. Der Zeitpunkt der zugehörigen Ladung ist der Akte nicht zu entnehmen.
Nicht in die Abwägung einzustellen waren die von der Klägerin vorgetragenen erheblichen psychischen Beeinträchtigungen, welche heute noch fortdauerten. Der Vortrag erfolgt pauschal und ohne konkrete Benennung von Folgen. Nachvollziehbar und als unbestrittener Vortrag zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Klägerin von einer weiteren Steigerung ausging, dies insbesondere auch angesichts der symbolischen Verwendung einer Bombe im Video.
Von daher erachtet das Gericht für die ungefragte Übersendung der Fotos des Gliedes des Beklagten einen Betrag in Höhe von 1.000,00 € als angemessen. Mit der Übersendung des Videos hat der Beklagte weiter seine fehlende Einsicht dokumentiert und die Intensität weiter erhöht, indem er nunmehr auch das Recht der Klägerin am eigenen Bild verletzte. Insbesondere durch die weitere Symbolik erzeugte er Angst vor weiterer Eskalation. Insofern ist als Ausgleich für die Übersendung des Videos die Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 3.000,00 € erforderlich, aber auch ausreichend.
Letztlich ist eine höhere Geldentschädigung nicht deswegen zuzusprechen, weil der Beklagte sich nicht gegen die Forderung wehrt. Allein der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt ist Grundlage des Teilversäumnisurteils. Dieser vermag aber eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 € nicht zu rechtfertigen.
2. Die vorgerichtlichen Abmahnkosten bezüglich dieses Anspruchs auf Geldentschädigung stehen der Klägerin auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 4.000,00 Euro in Höhe von 381,40 € zu.
3. Der Zinsanspruch hinsichtlich der Zahlungsansprüche ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
4. Hinsichtlich des Feststellungsantrages war das Vorliegen einer vorsätzlichen deliktischen Handlung als Ursache des Anspruches nur für die Geldentschädigung auszusprechen. Hinsichtlich der Kausalität auch für die Prozesskosten fehlt es an einem Feststellungsbedürfnis der Klägerin.
Die begehrte Feststellung führt in dieser Hinsicht nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Abs. 1 1. HS InsO. Kosten eines Zivilverfahrens, die bei der Geltendmachung eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener Handlung entstanden sind, teilen als prozessualer Anspruch nicht die Rechtsnatur des Hauptanspruchs. Sie werden deshalb von der Restschuldbefreiung erfasst (MüKoInsO/Stephan, 4. Aufl. 2020, InsO § 302 Rn. 14).
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für die Klägerin aus § 708 Ziff. 2 ZPO, für den Beklagten aus § 708 Ziff. 11 ZPO.
(Unterschriften)