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Ehrverletzung durch herabwürdigenden Tweet _Auch kerngleiche Inhalte müssen gelöscht werden: LG Frankfurt a.M., Urt. v. 4.12.2022, Az.: 2-03 O 325/22

Leitsätzliches

1) Betroffene können von Twitter nicht nur verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden.
2) Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt. Es wird Twitter untersagt, kerngleiche und innerhalb eines Zeitraums von weniger als 24 Stunden mehr als 10fach durch einen einzelnen Nutzer wiederholte Äußerungen zu verbreiten.

Landesgericht Frankfurt am Main

14.12.2022
Aktenzeichen: 2–03 O 325/22

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzende Richterin am Landgericht …, Richter am Landgericht … und Richter …. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2022

für Recht erkannt:

I. Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an ihrer Geschäftsführung, 

untersagt,

über die Internetplattform www.twitter.com folgende Äußerungen von W in Bezug auf den Antragssteller zu verbreiten:

  1. „Hat der antisemitische Bürokrat X eine Nähe zur Pädophilie, weil X Kontakt mit einer ‚möglicherweise minderjährigen Asiatin‘ aufgenommen hat?“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet des Nutzers @W vom 20.09.2022 um 18:36 Uhr ersichtlich: […]
     
  2. „X war auf der Suche nach ‚einer minderjährigen Asiatin‘“, 
    „Duldet @Regierung Xs sexuelles Fehlverhalten?  Duldet Xs Frau Y (…) sein sexuelles Fehlverhalten?“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet von @W vom 16.09.2022 um 21:34 Uhr ersichtlich: […]
     
  3. „Kollegen von Xs Frau Y sagen, dass X einen Seitensprung gemacht hat. Seitensprung war mit G“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet von @W vom 16.09.2022 um 21:34 ersichtlich: […]
     
  4. „Ich bekomme auch die ‚persönlichen Daten‘ von dem Pack der Antisemiten um X“, 
    „Ich kann die Namen der Antisemiten wie @X in meinem Artikel über Antisemitismus nennen“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet von @W vom 16.09.2022 um 19:24 Uhr ersichtlich: […]
     
  5. „Das ist gut für mich und für dich als Antisemit und für das Pack von Antisemiten um @X“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet von @W vom 16.09.2022 um 19:30 Uhr ersichtlich: […]

II. Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an ihrer Geschäftsführung, 

untersagt,

über die Internetplattform www.twitter.com zu Ziffer I.1. bis 5. kerngleiche und innerhalb eines Zeitraums von weniger als 24 Stunden mehr als 10fach durch einen einzelnen Nutzer wiederholte Äußerungen zu verbreiten.

III. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Eilverfahrens trägt der Antragsteller 1/6 und die Antragsgegnerin 5/6. 

V. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. 

Tatbestand

Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegnerin im einstweiligen Verfügungsverfahren äußerungsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend. 

Der Antragsteller ist Beauftragter gegen Antisemitismus. Seit 2009 betreibt er einen Twitter-Account. Hierfür legte er unter dem Nutzernamen X ein Twitter-Konto an. Er nutzt den beruflichen Account @X.

Die Antragsgegnerin ist verantwortlich für die unter www.twitter.com betriebene globale Echtzeit-Kommunikationsplattform. 

In der Zeit vom 16.-20.09.2022 verbreitete W über seinen Account @W bei der Antragsgegnerin in diversen Tweets in verschiedenen Varianten die Behauptungen, der Antragsteller habe „eine Nähe zur Pädophilie“, er habe „einen Seitensprung gemacht“, er habe „antisemitische Skandale“ und sei „Teil eines antisemitischen Packs“. 

Der Antragsteller meldete über das twittereigene Meldeverfahren im Zeitraum vom 25.-29.09.2022 mindestens 46 Tweets mit aus seiner Sicht rechtsverletzenden Inhalten (Anlage Ast 1, Bl. 28 ff. d. A.). 

Am 25.09.2022 und erneut am 27.09.2022 forderte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin per E-Mail erfolglos auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben (Anlage Ast 2, Bl. 53 d. A.). 

Infolgedessen entfernte die Antragsgegnerin drei der beanstandeten Tweets. Die restlichen Meldungen wurden zurückgewiesen (Anlage Ast 3, Bl. 78 ff. A.). 

Am 28.09.2022 sperrte die Antragsgegnerin den Account @W. 

Am 03.10.2022 hob die Antragsgegnerin die Sperre dieses Accounts wieder auf. Mit der Freischaltung waren die nicht gelöschten Tweets wieder abrufbar. 

Am 06.10.2022 sperrte die Antragsgegnerin diesen Account erneut. Die Sperre hält bis heute an. Der Nutzer W hat einen beim Landgericht Berlin gestellten Antrag auf einstweilige Verfügung zur Wiederherstellung des Accounts @W am 21.11.2022 zurückgenommen.

Der Antragsteller hält sich für ein Opfer einer politisch und religiös motivierten Verleumdungskampagne auf Twitter. Die angegriffenen Inhalte verletzten ihn in seiner Privat- oder gar Intimsphäre. Für diese gebe es keine tatsächliche Grundlage. Der Antragsteller vertritt die Ansicht, die Antragsgegnerin sei nach allgemeinen Gesetzen und aus Vertrag verpflichtet, die Verbreitung sämtlicher der gemeldeten Tweets zu unterlassen. Die darin geäußerten Behauptungen verstießen gegen die TwitterRegeln. Nach der Meldung sei die Antragsgegnerin Täterin der Rechtsverletzung und verwirkliche die strafrechtlichen Tatbestände der üblen Nachrede und der Nachstellung. Die Antragsgegnerin sei nicht nur verpflichtet, die genau bezeichneten Tweets zu entfernen, sondern darüber hinaus die Verbreitung kerngleicher Inhalte auch durch dritte Nutzer zu unterlassen. Es sei der Antragsgegnerin zumutbar, kerngleiche Inhalte zu identifizieren oder den handelnden User zu zwingen, kerngleiche Rechtsverletzungen zu unterlassen. Es werde keine allgemeine Pflicht zum

Monitoring gefordert, sondern eine auf konkret beschriebene Inhalte beschränkte Überwachungspflicht. Diese könne durch Suchfilter auf immer wiederkehrende Stichworte und anschließender händischer Moderation der Inhalte erfüllt werden. Eine nur vorübergehende Account-Sperrung und Geoblocking seien dagegen nicht geeignet, die Rechtsverletzungen zu verhindern. Der Antragsteller zweifelt, dass die Antragsgegnerin nach der Übernahme durch Elon Musk willens sei, angezeigte Rechtsverletzungen zu verhindern und hierfür die notwendigen sachlichen und personellen Mittel vorzuhalten. Auch komme es seitdem nach Account-Sperrungen immer wieder zu willkürlichen Freischaltungen. 

Der Antragsteller beantragt, wie folgt zu erkennen: 

I. Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise durch Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung gem. den §§ 935 ff., 890 ZPO untersagt, über die Internetplattform unter der Domain www.twitter.com Inhalte zu verbreiten, die in inhaltlicher Beziehung zum Antragsteller wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufstellen,

  • er habe Nähe zur Pädophilie,
  • er mache einen Seitensprung,
  • er habe antisemitische und anti-israelische Skandale und/oder – sei Teil eines antisemitischen Pack. Insbesondere jedoch:

a) die Verbreitung der wörtlichen oder sinngemäßen Behauptung in Beziehung auf den Antragsteller, dieser habe eine „Nähe zur Pädophilie“, habe „Kontakt mit einer möglicherweise minderjährigen Asiatin aufgenommen“ oder „war auf der Suche nach "einer minderjährigen Asiatin““, 

wie geschehen in dem Tweet des Nutzers @W vom 20.09.2022 um 18:36 Uhr und in dem Tweet des Nutzers @W vom 16.09.2022 um 22:32 Uhr, 

b) die Verbreitung der Behauptung über den Antragsteller, er habe einen Seitensprung begangen, wie geschehen in dem Tweet des Nutzers @W vom 16.09.2022 um 21:34 Uhr,

c) die Verbreitung der Behauptung, es gäbe „zahllose antisemitische und antiisraelische Skandale“ um den Antragsteller,  wie geschehen in einem Tweet des Nutzers @W vom 18.09.2022 um 12:14 Uhr und in dem Tweet des Nutzers @W vom 27.09.2022 um 14:24 Uhr,

d) die Verbreitung der Behauptung, der Antragsteller gehöre einem Pack Antisemiten an, wie geschehen in dem Tweet des Nutzers @W vom 16.09.2022 um 19:24 Uhr und dem Tweet des Nutzers @W vom 16.09.2022 um 19:30 Uhr,

e) die Verbreitung von Tweets durch jeweils einen einzelnen Nutzer mit Behauptungen, die zu jenen der lit. a–e) kerngleich sind und dabei innerhalb von einem Zeitraum von weniger als 24 Stunden mehr als 10fach wiederholt werden. 

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung vom 14.10.2022 zurückzuweisen. 

Die Antragsgegnerin hält den geltend gemachten Anspruch für unbegründet. Als Hosting-Provider sei sie nur für ihr angezeigte offensichtliche Rechtsverletzungen verantwortlich, die hier angesichts des hochpolitischen Kontexts der Tweets nicht vorlägen. Eine strafrechtliche Verantwortung sei nicht zu begründen. Laut Landgericht Hamburg und Landgericht Köln verstieße die Bezeichnung des Antragstellers als antisemitisch nicht gegen die §§ 185 ff. StGB. Die streitgegenständlichen Tweets seien durch die Meinungsfreiheit geschützt. Eine Pflicht zum Monitoring obliege ihr ohnehin nicht, auch wenn die Antragsgegnerin über ein Team verfüge, dass befähigt sei, NetzDG-Meldungen zu betreuen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen (Bl. 201 d. A.). Die Reichweite des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs sei zu weitgehend. Die Kerntheorie sei auf das Äußerungsrecht nicht anwendbar und würde der Antragstellerin eine europarechtswidrige autonome Beurteilung abverlangen. Die Antragstellerin ist weiter der Auffassung, sie habe durch die Sperrung des Accounts bereits mehr geleistet als beantragt, weil die Tweets dadurch weltweit nicht mehr abrufbar seien. IP-basiertes Geoblocking sei ausreichend für das Sperren rechtswidriger Inhalte. Die Sache sei daher nicht dringlich.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf die zwischen den Parteien getauschten Schriftsätze nebst Anlagen. Zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit übernimmt die Kammer im Folgenden die von der Antragsgegnerseite definierte (chronologische) Nummerierung der streitgegenständlichen Tweets (S. 7 ff. der Erwiderung vom 24.10.2022, Bl. 100 ff. d. A. sowie S. 4 ff. der Duplik vom 21.11.2022, Bl. 157 ff. d. A.). 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist wie tenoriert begründet.

I. Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Unterlassung der mit den Tweets 1, 2, 3, 4 und 6 auf Twitter verbreiteten Äußerungen gemäß §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, 8 EMRK. 

1. Die Verbreitung dieser Äußerungen greift rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers ein.  

Die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht wegen seiner Eigenschaft als Rahmenrecht nicht absolut fest. Sie muss grundsätzlich durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist dabei rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14; BGH, Urteil vom 28.07.2015 – VI ZR 340/14). 

Stehen sich als widerstreitende Interessen die Meinungs- bzw. Pressefreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. 

Geht es um Tatsachenbehauptungen, die – soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können – grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst sind, hängt die Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen maßgeblich von ihrem Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Vom Schutz der Meinungsfreiheit sind dagegen keine Tatsachenbehauptungen umfasst, die im Bewusstsein ihrer Unwahrheit aufgestellt werden oder deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, GRUR 2017, 844 Rn. 26). Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die nicht zutreffend sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (BGH, Urteil vom 16.01.2018 – VI ZR 498/16, DB 2018, 630 Rn. 38 mwN).

Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder – bis zur Grenze einer Schmähkritik, Formalbeleidigung oder eines Eingriffs in die Menschenwürde nicht von vornherein unzulässiges (BGH, Urteil vom 29.01.2020 – VI ZR 20/01, AfP 2002, 169, 179 mwN [juris Rn. 28]) – Werturteil einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage (BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, GRUR 2017, 844 Rn. 29). Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Werturteile und Meinungsäußerungen werden hingegen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist. Bei Werturteilen und Meinungsäußerungen scheidet die Überprüfung einer Aussage auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises aus, weil diese durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinung vermengen, durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG geschützt (BGH, BGH, Urt., v. 16.1.2018 – VI ZR 498/16 = NZG 2018, 797 = DB 2018, 630 Rn. 36 mwN). Dabei fällt bei der gebotenen Interessenabwägung der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile maßgeblich ins Gewicht. Bei einem erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter die Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück (BGH, GRUR 2017, 844 Rn. 27). 

Für die zutreffende Erfassung des Sinns der Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsrezipienten hat. Dabei darf die Angabe nicht aus dem Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden, sondern es sind ihr sprachlicher Kontext und die erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 250/13, GRUR 2017, 298 Rn. 12 – Mal PR-Agent, mal Reporter; GRUR 2017, 844 Rn. 30, jeweils mwN). 

Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, weil es sich bei den angegriffenen Äußerungen um unwahre Tatsachenbehauptungen bzw. um Meinungsäußerungen auf unwahrer bzw. fehlender Tatsachengrundlage handelt. 

a) Pädophilie (Tweets 4 und 6)

Die ehrenrührige Behauptung, der Antragsteller habe eine Nähe zur Pädophilie, basiert auf unwahrer Tatsachengrundlage. Pädophilie ist nach der von der Weltgesundheitsorganisation durch den ICD: 10-F65.4 vorgenommen Klassifizierung definiert als sexuelle Präferenz für Kinder. Für diese ehrenrührige Behauptung gibt es keine Anhaltspunkte, so dass gemäß § 186 StGB von ihrer Unwahrheit auszugehen ist. 

b) Seitensprung (Tweets 3 und 4)

Auch für die ehrenrührige Behauptung, der Antragsteller habe einen Seitensprung begangen, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Hierunter versteht der Durchschnittsleser eine (sexuelle) Beziehung außerhalb der Ehe, ein Fremdgehen, eine erotische Affäre. Unabhängig von dem fehlenden Wahrheitsgehalt unterfällt diese Thematik der Intimsphäre, über die angesichts fehlender Selbstöffnung und fehlenden öffentlichen Interesses vorliegend ohnehin nicht öffentlich berichtet werden darf. Das Bundesverfassungsgericht geht insoweit in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass wegen der besonderen Nähe zur Menschenwürde dieser Kernbereich privater Lebensgestaltung als absolut unantastbar geschützt ist (BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 = NJW 2008, 39 Rn. 88).

c) Antisemit/antisemitisch/Pack von Antisemiten (Tweets 1, 2 und 6)

(1) Die angegriffenen Äußerungen, der Antragsteller sei ein Antisemit, sei antisemitisch, gehöre einem Pack von Antisemiten sind als Meinungsäußerungen anzusehen. 

Diese enthalten als schlagwortartige Qualifizierung einer politischen Einstellung oder Geisteshaltung einer Person Elemente eines Werturteils, die nicht dem Beweis zugänglich sind. So ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass Begriffe wie „rechtsextremistisch“, „Neonazi“, „Nazi“, „Hooligan“, „Antifa-Extremist“, „AntifaMann“, „Antifa-Autor“, „Extremist“, „Sprachrohr für Rassismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit“ und ähnliche regelmäßig als Meinungsäußerungen anzusehen sind (vgl. BVerfG GRUR 2013, 193 Rn. 27; BVerfG NJW 2012, 3712 Rn. 27; BVerfG NJW 1992, 2013 zu „Nazi“; OLG Stuttgart MMR 2016, 642 Rn. 106; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2016, 681; OLG Hamburg NJW 1992, 2035; OLG Celle, CR 2017, 551; OLG Celle, Urt. v. 01.06.2017 – 13 U 178/16; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.04.2016 – 2-03 O 132/16; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.08.2020 – 2-03 O 164/19; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 14 Rn. 27, § 20 Rn. 9). Dies gilt explizit auch für den Vorhalt des Antisemitismus (BVerfG, Beschluss vom 11.11.2021 – 1 BvR 11/20; OLG Karlsruhe Urteil vom 23.6.2021 – 6 U 190/20 = GRUR-RS 2021, 15374). 

(2) Der Vorhalt des Antisemitismus ist geeignet, den Antragssteller in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und greift damit in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. 

(3) Dieser Eingriff ist auch rechtswidrig. 

Zwar mag damit die Grenze zur Schmähkritik noch nicht überschritten sein. Diese ist dann überschritten, wenn der abwertende Vorwurf auch vom Standpunkt des Äußernden aus völlig grundlos, d.h. willkürlich, nicht sachbezogen und von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes ist. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Schmähkritik liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage allerdings nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016 – 1BvR 2646/15 = NJW 2016, 2870 Rn. 17 f.; BVerfG, NJW 1983, 1415 – Bezeichnung der CSU als „NPD Europas“; OLG Saarbrücken, Urteil vom 04.06.2014 – 5 U 81/13, BeckRS 2015, 07789 Rn. 44). Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter etwa aus der Fäkalsprache der Fall sein kann (BVerfG NJW 2009, 3016 Rn. 35 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BVerfG NJW 2009, 3016 – „Dummschwätzer“; BVerfG NVwZ 2019, 719 Rn. 11).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist entscheidend, in welchem Kontext die Äußerungen fallen. 

Zum Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht bedarf es daher einer grundrechtlich angeleiteten Abwägung der konkreten Umstände des Falls und der Situation, in der die Äußerung erfolgte. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören. Diese Gesichtspunkte können für die konkrete Abwägung relevant sein, müssen aber nicht in jedem Fall in ihrer Gesamtheit „abgearbeitet“ werden (BVerfG, Beschluss vom 11.11.2021 – 1 BvR 11/20 – Fall Naidoo = NJW 2022, 680 Rn. 30–38). Auch für ein Werturteil muss es eine ausreichende Tatsachengrundlage geben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.08.2016 - 1 BvR 2619/13 Rn. 13; EGMR, Urteil vom 10.07.2014 - 48311/10 Rn. 64). Abwägungsrelevant ist deshalb auch, ob das Werturteil bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht (BVerfG, Beschluss vom 15.08.1989 - 1 BvR 881/89). 

In Abwägung der widerstreitenden Interessen sind die mit Tweets 1, 2 und 6 getätigten Äußerungen rechtswidrig.

Diese Tweets zielen erkennbar nicht darauf ab, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, sondern in emotionalisierender Form Stimmung gegen die Person des Antragstellers zu machen. Die streitgegenständlichen Äußerungen wurden in wiederholender und anprangernder Weise in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium mit hoher Breitenwirkung getätigt und teilweise mit unzulässigen ehrbeeinträchtigenden unwahren Tatsachenbehauptungen zu einer krankhaften sexuellen Orientierung des Betroffenen und seiner Intimsphäre verknüpft. 

Zwar ist bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist (BVerfG, a.a.O., Rn. 30) und die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 31). Jedoch lassen diese konkreten Tweets einen Sachbezug vermissen und erscheinen grundlos.

Auch wenn sich der Antragsteller in seiner Funktion als Antisemitismusbeauftragter aktiv in den politischen Diskurs einschalten mag, ist nicht erkennbar, dass diese sich auf eine Kritik an seiner Amtsführung oder seiner Eignung für dieses Amt beziehen. Sie erfolgen vielmehr losgelöst von einem Bezug zu diesem Amt und damit von einer die Öffentlichkeit berührenden Frage. 

Ein Sachbezug ergibt sich auch nicht aus den von der Antragsgegnerseite vorgelegten Beschlüssen des Landgerichts Hamburgs vom 25.10.2022 (Anlage AG 2, Bl. 176 ff. d. A.) und des Landgerichts Köln (Anlage AG 3, Bl. 181 ff. d. A.). Diese Entscheidungen sind ohne Präjudiz für das hiesige Verfahren. Im vom Landgericht Hamburg judiziertem Fall erfolgte die Bezeichnung des Antragstellers als antisemitisch nach den Entscheidungsgründen im Rahmen einer Frage von öffentlichem Interesse in Bezug auf das von ihm ausgeübte Amt als Antisemitismusbeauftragter. Daran fehlt es – wie dargelegt – hier. Im Fall des Landgerichts Köln fehlt es schon an einem erkennbaren Bezug zum Antragsteller.  

Ein Sachbezug ergibt sich auch nicht aus der bloßen Listung des Antragstellers auf der vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles 2021 veröffentlichten Liste der größten Antisemiten weltweit. Der Antragsteller hat insoweit unwiderlegt vorgetragen, dass diese Listung ihrerseits ohne hinreichende Tatsachengrundlage erfolgt ist. Es gibt daher vorliegend keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen für diese ehrverletzende Meinungsäußerung. 

d. Dagegen kann der Antragsteller nicht die Unterlassung der mit Tweet 5 getätigten folgenden Äußerungen verlangen:

„Der Antisemitismus-Skandal um @X @X reißt nicht ab. @simonwiesenthal hat X als antisemitisch eingestuft“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet 5 von @W vom 18.09.2022 um 12:14 ersichtlich: […]

Die in diesem Zusammenhang erfolgte Bezeichnung des Antragstellers als antisemitisch erfolgt im Rahmen der Information über die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichten Liste der größten Antisemiten weltweit, in die der Antragsteller 2021 aufgenommen wurde und die umfangreich öffentlich diskutiert wurde und wird. In diesem Tweet wird der wahre Umstand thematisiert, dass dieses Zentrum den Antragsteller als antisemitisch eingestuft hat. Diese Äußerung steht damit in einem Sachbezug zu einem öffentlichen Diskurs. Unabhängig von der Frage, ob die Aufnahme des Antragstellers in diese Liste gerechtfertigt ist, kann der Antragsteller nicht verhindern, dass in der Öffentlichkeit über die Tatsache informiert wird, dass er auf dieser Liste aufgenommen wurde und gegen ihn ein Antisemitismusvorwurf erhoben wird. Hiergegen müsste sich der Antragsteller im Meinungskampf öffentlich zur Wehr setzen. 

Insoweit wird der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. 

Dieselben Erwägungen gelten für die von dem Antragsteller mit der Duplik vom 31.10.2022 ins Verfahren eingebrachten Tweets des Accounts @Z. Der Antragsteller kann folglich auch nicht Unterlassung folgender Äußerungen aus diesen beiden Tweets verlangen: 

   „Der @X wird seit Jahren mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. Auf Betreiben Xs wurde der account des  israelischen Journalisten @Z grundgesetzwidrig liquidiert.

   Herr W hatte die Vorwürfe gegen X thematisiert“, wenn dies geschieht wie in dem Tweet von @Z vom 27.10.2022, abrufbar unter URL: twitter.com/[…].

   „Die Stuttgarter Medien betreiben Gefälligkeitsjournalismus Sie reden der @Regierung nach dem Munde 
   Der AntisemitismusSkandal um den @X ruft in , & starke Reaktionen hervor
   In … wird er totgeschwiegen
   @StZ_News @Schwaebische @StN_News @BILD_Stuttgart”,

wenn dies geschieht wie in dem Tweet von @Z vom 28.10.2022, abrufbar unter  URL: twitter.com/[…]

.

2.         Die Antragsgegnerin ist als mittelbare Störerin passiv legitimiert. 

Als mittelbarer Störer ist verpflichtet, wer in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte. 

Die Haftung als mittelbarer Störer darf aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Sie setzt deshalb Verhaltenspflichten voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Host-Provider zur Vermeidung einer Haftung als mittelbarer Störer zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, die von den Nutzern ins Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von einem konkreten rechtswidrigen Inhalt erlangt und nicht unverzüglich tätig wird, um die in Rede stehende Information oder den Zugang zu ihr zu sperren (vgl. BGH, Urteil vom 2.6.2022 – I ZR 140/15 – YouTube II; BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17 Rn. 36 – Prozessberichterstattung; BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15 Rn. 23 – jameda.de II, BGH, Urteil vom 15.10.2020 – I ZR 13/19 Rn. 24 – Störerhaftung des Registrars). 

Dies setzt voraus, dass der Hinweis so konkret gefasst ist, dass der Adressat des Hinweises den Rechtsverstoß unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung – feststellen kann. Der Hinweis ist erforderlich, um den grundsätzlich nicht zur präventiven Kontrolle verpflichteten Diensteanbieter in die Lage zu versetzen, in der Vielzahl der indexierten Internetseiten diejenigen auffinden zu können, die möglicherweise die Rechte Dritter verletzen (BGH, Urteil vom 17.08.2011 – I ZR 57/09 – Stiftparfüm; BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17 Rn. 37 – Prozessberichterstattung). 

Wird eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten behauptet, wird sich eine Rechtsverletzung allerdings nicht stets ohne weiteres feststellen lassen. Denn sie erfordert wegen des Rahmenrechtscharakters typischerweise eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und dem durch Art. 5 Abs. 1, Art. 10 EMRK geschützten Recht des Providers und seiner Nutzer auf Meinungs- und Medienfreiheit. Ist der Provider aber mit einer Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen – diese zunächst als wahr unterstellt – unschwer bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag unmittelbar Verantwortlichen erforderlich; dies gilt auch dann, wenn die beanstandete Äußerung auf einem Bewertungsportal nur als Werturteil zu qualifizieren ist und das Werturteil vom Betroffenen nur mit der schlüssigen Behauptung als rechtswidrig beanstandet wird, der tatsächliche Bestandteil der Äußerung, auf dem die Wertung wiederum aufbaue, sei unrichtig und dem Werturteil fehle damit jegliche Tatsachengrundlage (BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, GRUR 2016, 855 Rn. 23 f.; OLG Köln Urteil vom 26.6.2019 – 15 U 91/19). Maßgebend für die Prüfungspflicht ist allein die Darstellung des Betroffenen (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.11.2021 – 16 U 253/20 Rn. 21).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist von einer Kenntnis der Antragsgegnerin von den rechtsverletzenden Tweets spätestens seit dem anwaltlichen Schreiben des Antragstellers vom 27.09.2022 auszugehen. Denn in diesem Schreiben hat der Antragsgegner konkret dargelegt, dass er davon ausgeht, von den bezeichneten Tweets in seinen Rechten verletzt zu werden. Weitere Anforderungen an den Hinweis hat die Rechtsprechung nicht aufgestellt, insbesondere nicht die Angabe einer konkreten URL. Mit dieser Anzeige hat der Antragsteller die Antragsgegnerin in Kenntnis der ihm widerfahrenen Rechtsverletzung gesetzt und dadurch die Pflicht der Antragsgegnerin ausgelöst, das von ihr verantwortete Netzwerk auf rechtsverletzende Inhalte zu überprüfen. 

3.         Die Antragsgegnerin hat die ihr obliegende Prüfpflicht verletzt. 

Der Umfang der einem Hostprovider auferlegten Prüfpflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als mittelbaren Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Einzelfalls eine Verhinderung der Verletzung zuzumuten ist (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17 Rn. 36; BGH, Urteil vom 30.04.2008 – I ZR 73/05 Rn. 50 – Internetversteigerung III; BGHZ 185, 330 – Sommer unseres Lebens; BGHZ 158, 343 – Schöner Wetten; BGH, Urteil vom 09.02.2006 – I ZR 124/03 Rn. 32 – Rechtsanwalts-Ranglisten). 

Unter Anwendung dieser Grundsätze haftet die Antragsgegnerin nur dann nicht, wenn sie nach dem Hinweis vom 27.09.2022 alles ihr technisch und wirtschaftlich Zumutbare getan hat, um weitere Rechtsverletzungen zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2012 – I ZR 18/11 – Alone in the Dark).

Dies hat die Antragsgegnerseite weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, wozu sie im Rahmen der ihrer sekundären Darlegungslast verpflichtet gewesen wäre. Die Antragsgegnerin hat schon nicht vorgetragen, dass sie überhaupt eine Stellungnahme des für den Beitrag verantwortlichen Nutzer eingefordert hat. Im Übrigen hat sich die Antragsgegnerin darauf beschränkt vorzutragen, dass ihr keine allgemeine Monitoring Pflicht im Hinblick auf ihre 237 Millionen Nutzer auferlegt werden könne, die den Betrieb des Twitter-Dienstes gefährden, jedenfalls unverhältnismäßig erschweren würde (Bl. 120 d. A.). 

Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Antragsgegnerin aus der Haftung zu entlassen. Zum einen statuiert dieses Urteil keine allgemeine, sondern eine auf die bereits von diesem Gericht festgestellten konkreten Verletzungsformen beschränkte Prüfpflicht. Zum anderen hat die Antragsgegnerseite die Gefährdung ihres Betriebs nur pauschal eingewandt, ohne hierzu vorzutragen. Die Kammer kann angesichts dessen nicht erkennen, warum diese Identifizierung der rechtsverletzenden Tweets für die Antragsgegnerin technisch und wirtschaftlich, beispielsweise anhand der von der Antragstellerseite vorgeschlagenen Stichworte, unzumutbar sein sollte. 

Der vom der Antragsgegnerseite ins Feld geführte Gefahr des Overblockings kann dadurch begegnet werden, dass die Antragsgegnerin das von § 3b NetzDG normierte Gegendarstellungsverfahren durchführt.  

Die Verletzung dieser Prüfpflicht begründet die Störerhaftung der Antragsgegnerin. 

4.        Die Antragsgegnerin hat auch kerngleiche Verletzungen zu unterlassen. 

Ab dem Zeitpunkt seiner Kenntnis ist der Diensteanbieter nicht nur dazu verpflichtet, den konkreten Inhalt zu sperren, sondern hat auch Vorsorge zu treffen, dass es nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt (vgl. BGH, Urteil vom 17.08.2011 – I ZR 57/09 Rn. 39 – Stiftparfüm; BGH, Urteil vom 12.07.2012 – I ZR 18/11 – Alone in the Dark). Ein Host-Provider ist dabei nicht nur zur einmaligen Löschung oder Entfernung des Zugangs zu einem rechtswidrigen Inhalt, sondern bei einer Störerhaftung zur Unterlassung verpflichtet (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 22.6.2021 – C–682/18, C–683/18 (Frank Peterson/Google LLC ua [C–682/18] u. Elsevier Inc./Cyando AG [C–683/18]); BGH, Urteil vom 02.06.2022 – I ZR 140/15 – YouTube II; BGH, Beschluss vom 20.09.2018 – I ZR 53/17). 

Es ist anerkannt, dass ein Host-Provider verpflichtet sein kann, auch kerngleiche Verletzungen zu verhindern (vgl. EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C–18/18 Rn. 37 ff., der insoweit von „sinngleichen Äußerungen“ spricht, s.u.; BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15 Rn. 23 – jameda.de II). 

Die gegenteilige Auffassung der Antragsgegnerseite unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unanwendbarkeit der Kerntheorie auf die Bildberichterstattung geht fehl (Bl. 169 d. A.). Der vom Bundesgerichtshof unter Aktenzeichen VI ZR 232/08 am 23.06.2008 entschiedene Fall betraf eine vorbeugende Unterlassungsklage einer Bildnisveröffentlichung über die konkrete Verletzungsform hinaus. Dagegen begehrt der hiesige Antragssteller die Unterlassung kerngleicher Äußerung, die durch die im Urteilstenor bezeichneten Verletzungsformen konkret umfasst sind. Auch geht es vorliegend nicht um eine Bildberichterstattung.

Ein auf die konkrete Verletzungsform beschränktes Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Äußerung sind (BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17 Rn. 44 – Prozessberichterstattung). Anders als die Antragsgegnerseite behauptet, werden die verfahrensgegenständlichen Äußerungen damit nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind von der Kerngleichheit nur solche Äußerungen, die der Verkehr als den untersagten Äußerungen gleichwertig ansieht und bei denen etwaige Abweichungen den Äußerungskern unberührt lassen. Der Bundesgerichtshof spricht insoweit von einer „Identität des Äußerungskerns“ (BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17 Rn. 44 – Prozessberichterstattung). Würden nur völlig identische Äußerungen die Rechtsfolge des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO auslösen, könnte die Unterlassungsverpflichtung leicht umgangen werden; ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit wäre nicht gewährleistet (BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 – 1 BvR 730/97 = BeckRS 1997, 9994 Rn. 12). Daher ist die Verlagerung eines Teils des Streits, was unter Kerngleichheit zu verstehen ist, in das Vollstreckungsverfahren nicht zu vermeiden, wenn nicht der auf einen durchsetzbaren Unterlassungsanspruch zielende Rechtsschutz geopfert werden soll. Die Antragsgegnerin ist dadurch gesichert, dass ihr im Vollstreckungsverfahren nur schuldhafte Verstöße zur Last gelegt werden können und ein unverschuldetes Verhalten die Verhängung von Ordnungsmitteln nicht rechtfertigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 15.8.2013 – I ZR 80/12). 

Kerngleiche und vom Unterlassungstenor umfasste Verletzungshandlungen sind damit sämtliche Äußerungen, die im Hinblick auf den Antragsteller ohne Tatsachengrundlage oder eine (bisher nicht vorliegende) Selbstöffnung insinuieren, er habe eine Nähe zur Pädophilie und/oder er habe einen Seitensprung gemacht. Kerngleiche Verletzungshandlungen und vom Unterlassungstenor umfasst sind weiter Äußerungen, die ohne (bisher nicht vorliegende) Anknüpfungspunkte den Antragsteller als Antisemit, antisemitisch oder Teil eines antisemitischen Packs diffamieren. Mit diesen Urteilsgründen ist festgelegt, dass derartige Äußerungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers verletzen. Damit erlaubt die Kerntheorie die Vollstreckung aus dem Unterlassungstitel wegen sämtlicher auf Twitter verbreiteten Behauptungen, die dieses Recht verletzen. 

Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots grundsätzlich zu, selbst festzustellen, ob in einer ihm bekannten Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Dies gilt auch in diesem Fall. Die Antragsgegnerin befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn der Antragsteller oder ein anderer Nutzer ihr eine Rechtsverletzung meldet. Auch in diesem Fall muss sie feststellen, ob die gemeldete Rechtsverletzung zu einer Sperrung führt oder nicht. 

Diese Verpflichtung zur Unterlassung kerngleicher Verletzungen steht auch im Einklang mit dem Europarecht. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 03.10.2019 (C-18/18 – Glawischnig-Piesczek) ausdrücklich klargestellt, dass es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, einem Hosting-Anbieter „Überwachungspflichten in spezifischen Fällen“ aufzuerlegen und „die von ihm gespeicherten Informationen, die einen sinngleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen.“ Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin erfordert diese Verpflichtung keine europarechtswidrige „autonome Beurteilung“ der Rechtswidrigkeit der Verbreitung der Inhalte. Denn die Beurteilung, welche Inhalte zu unterlassen sind, ist bereits durch das hiesige Urteil erfolgt. 

5.        Die Unterlassungsverpflichtung gilt unabhängig davon, von wem die Äußerung stammt. Entscheidend für den rechtsverletzenden Charakter sind maßgeblich der Inhalt und der Kontext der Äußerung, nicht der Äußernde. Zwar mögen einen Betroffenen Äußerungen bestimmter Personen stärker treffen als anderer Personen. Dies ist aber nicht entscheidend für den Unterlassungsanspruch. Entsprechend hat der Europäische Gerichtshof in dem Fall Glawischnig-Piesczek die noch vom Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vorgeschlagene Beschränkung der Überwachungspflicht auf Äußerungen von demselben Nutzer nicht übernommen (C-18/18). Ansonsten könnte die Unterlassungsverpflichtung leicht umgangen werden. 

Es steht dem Antragsteller jedoch frei, den von ihm geltend gemachten Anspruch insoweit zu begrenzen, als nur die Verbreitung solcher Tweets mit kerngleichen Behauptungen unterlassen werden sollen, die innerhalb von einem Zeitraum von weniger als 24 Stunden mehr als 10fach wiederholt werden. 

Das Gericht ist gemäß § 308 ZPO an diesen Antrag gebunden. Im Übrigen hat das Gericht von § 938 ZPO Gebrauch gemacht und die Unterlassungsgebote – wie im Presserecht üblich – auf die konkreten Verletzungsformen bezogen. 

6.        Die von der Antragsgegnerin begangene Verletzungshandlung begründet die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 29.06.2021 – VI ZR 52/18 Rn. 25 mwN). Dies gilt insoweit auch für die Handlungsform des Verbreitens (vgl. zB EuGH, Urteil vom 22.06.2021 – C–682/18 u.a., GRUR 2021, 1053 Rn. 102, zur öffentlichen Wiedergabe i.S.d. UrhG). 

Mit der Wiederfreigabe des Accounts @W entsteht die Störerhaftung der Antragsgegnerin. Dieser kann sie nur noch durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung entgehen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerseite ist der Unterlassungsantrag auch nicht durch das erneute Sperren des Accounts des Nutzers @W hinfällig geworden. Insoweit gilt für Host-Provider nichts anderes als für sonstige Störer. Ohne Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung besteht die Vermutung einer Wiederholungsgefahr grundsätzlich fort. Der Antragsgegner bedarf zu seinem Schutz einen nach § 890 ZPO vollstreckbaren Unterlassungstitel. Die Antragsgegnerin hat nicht dargelegt, dass sie Account-Sperrungen genauso effektiv nachhält wie die Einhaltung (ordnungsmittelbewehrter) Unterlassungsansprüche. 

7.        Die Anordnung ist auch dringlich. 

Ein Verfügungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls durch verzögerte Geltendmachung seines Begehrens zu erkennen gegeben hat, dass ihm „die Sache so eilig nicht ist“. Für das zu lange Zuwarten gelten keine starren Fristen. Nach den Gepflogenheiten im hiesigen Gerichtsbezirk orientiert sich die Kammer bei der Frage der Eilbedürftigkeit an einen Zeitraum von sechs Wochen (vgl. OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2018, 251 Rn. 50 – Pharma-Vertriebsbereiche). Daran gemessen besteht der Verfügungsgrund. Die angegriffenen Veröffentlichungen erfolgten im Zeitraum 25. bis 29.09.2022. Damit liegt der Antragsteller mit der gerichtlichen Geltendmachung am 14.10.2022 innerhalb dieser Frist.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerseite entfällt die Dringlichkeit auch nicht aufgrund der Sperrung des Accounts @W. Die Antragsgegnerin hat durch die temporäre Wiederfreischaltung selbst gezeigt, dass der Antragsteller durch diese nicht hinreichend geschützt ist. Ihm fehlt daher nicht das Rechtsschutzbedürfnis für dieses einstweilige Verfügungsverfahren. 

II.        Die Ordnungsmittelandrohung beruht auf § 890 ZPO. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO. 

III.        Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit für den Antragsteller ergibt sich aus der Natur der einstweiligen Verfügung.  

(Unterschriften)