Verwertbarkeit von „Dashcam“-Aufzeichnungen – Rechtsprechung bleibt uneinheitlich
Von Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL.M. und Christian Schwarz
Nichts genaues weiß man nicht. So könnte man die Rechtsprechung zum Thema Videoaufnahmen mittels „Dashcams“ bezeichnen. Unter einer solchen versteht man eine kleine Videokamera auf dem Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe eines Fahrzeugs, die während der Fahrt Videos aufzeichnet. Immer mehr Autofahrer installieren ein solche „Dashcam“.
Immer wieder werden damit auch kritische Verkehrssituationen und Unfälle aufgezeichnet, weshalb die Aufnahmen in Prozessen zu Beweiszwecken vorgelegt werden. Doch die Gerichte sind sich nicht einig, ob solche „heimlichen“ Aufnahmen auch als Beweismittel zulässig sind.
Auch gibt es viele Stimmen, die in der dauerhaften Aufzeichnung und permanenten Überwachung der öffentlichen Straßen – es wird ja nicht bei einem Unfall gefilmt – Verstöße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Datenschutzrecht sehen. Wir geben einen kleinen Überblick über die jüngsten Entscheidungen zu diesem Thema.
Amtsgericht München: Aufnahmen verstoßen gegen Datenschutzrecht
Das Amtsgericht München verhängte jüngst eine Geldbuße gegen eine Fahrerin, die eine „Dashcam“-Aufnahme als Beweismittel nutzen wollte (AG München, Urteil vom 9. August 2017, Az. 1112 OWi 300 Js 121012/17). Sie zeichnete beim Einparken in München mindestens drei Fahrzeuge – inklusive Kennzeichen – auf. Die Videoaufzeichnungen wurden durch Fahrerin der Polizei übergeben, da ein anderes Fahrzeug ihr geparktes Fahrzeug beschädigt hatte.
Gegen die Fahrerin wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Diesen bestätigte das Amtsgericht nun. In einer Pressemitteilung des Gerichts heißt es:
„Nach Auffassung des Gerichtes überwiegt hier im vorliegenden Fall das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung. Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat muss hierbei zurückstehen. Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraums verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und stellt einen schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht dar. Es geht nicht an, dass 80 Millionen Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten. Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlich Raumes durch Privatbürger ist nicht zulässig, da es in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreift, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhält, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden.“
Oberlandesgericht Nürnberg: Aufnahmen dürfen verwertet werden
Anders beurteilte das Oberlandesgericht Nürnberg die Verwertbarkeit von „Dashcam“-Aufnahmen (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 10. August 2017, Az. 13 U 851/17). Das fränkische Gericht bekam die Berufung in einem Verkehrsunfallprozess vorgelegt.
Im Unterschied zu sonstigen Vorrichtungen war die installierte „Dashcam“ so konfiguriert, dass sie nur bei starker Erschütterung ein insgesamt 30 Sekunden langes Aufzeichnungssegment aus dem Zwischenspeicher dauerhaft auf die eingesetzte SD-Karte speichert, jedoch keine permanente Aufzeichnungsspeicherung erfolgt.
Die Erschütterung entspreche dabei einer stärkeren Bremsung, für die man „praktisch schon in den Gurten hängen“ muss. Nur dann werde aus dem flüchtig aufgezeichneten Material im Zwischenspeicher eine Sequenz von 20 Sekunden vor dem auslösenden Ereignis bis 10 Sekunden danach auf der eingesetzten SD-Karte abgespeichert.
Ob darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu sehen ist, bestimme sich nach einer umfassenden Interessenabwägung. Das Oberlandesgericht kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Aufnahmen verwertet werden können:
„In der Abwägung ist diesem persönlichkeitsrechtlichen Interesse des Klägers kein hohes Gewicht beizumessen. Es geht allein um das Interesse des Klägers, dass sein ohnehin in der Öffentlichkeit stattfindendes Verkehrsverhalten nicht, auch nicht für einen sehr kurzen Zeitraum, dokumentiert wird. Der Kläger wird durch die Aufnahme weder zur Schau gestellt noch in anderer Weise herabgewürdigt, als Person ist er überhaupt nicht erkennbar. Erkennbar ist letztlich nur sein Fahrverhalten als solches. Er hat sich durch die Teilnahme am öffentlichen Verkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung anderer Verkehrsteilnehmer ausgesetzt und ist selbst von der Aufzeichnung auch nur für einen ganz kurzen Zeitraum betroffen.“
Dem gegenüber zu stellen sei das Interesse daran, für den konkreten Unfall die „Dashcam“-Aufzeichnung als Beweismittel zur Verfügung zu haben und im Verfahren zur Verteidigung gegen die Inanspruchnahme durch den Kläger verwerten zu können. Dieses wiegt im Verhältnis zu dem Interesse des Klägers schwer.
Insbesondere sei jedenfalls dann dem Interesse des Beweisführers besonders Gewicht beizumessen, wenn keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen, er also auf der Verwertung für die Erreichung seines Rechtsschutzziels angewiesen ist, womit zugleich auch der materiellen Gerechtigkeit Genüge getan wird.
Oberlandesgericht Stuttgart: Verwertung in Straf- und Bußgeldverfahren erlaubt
Ebenso entschied im Jahr 2016 bereits das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschluss vom 4. Mai 2016, Az. 4 Ss 543/15). Die Richter haben hat es für grundsätzlich zulässig erachtet, in einem Bußgeldverfahren ein „Dashcam“-Video zu verwerten. Dies müsse jedenfalls für die Verfolgung schwerwiegender Verkehrsordnungswidrigkeiten wie eines Rotlichtverstoßes an einer mindestens seit sechs Sekunden rot zeigenden Ampel gelten.
Der Senat hat jedoch offen gelassen, ob die Nutzung einer „Dashcam“ durch einen Verkehrsteilnehmer gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstößt, das die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mittels Video nur in engen Grenzen zulässt. Denn das BDSG enthalte kein Beweisverwertungsverbot für das Straf- und Bußgeldverfahren. Somit folge aus einem möglichen Verstoß gegen diese Vorschrift nicht zwingend eine Unverwertbarkeit der Videoaufnahme, so das Gericht. Über die Verwertbarkeit sei vielmehr im Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.
Fazit
In der jüngeren Rechtsprechung tendieren nun zwei Oberlandesgerichte sogenannte „Dashcam“-Aufzeichnungen als Beweismittel zu zulassen. Allerdings müsse im Zivilprozess – wie immer – eine umfassende Abwägung der Interessen stattfinden. Dennoch besteht, auch das hat das Oberlandesgericht Nürnberg thematisiert, in der Instanzrechtsprechung große Uneinigkeit. Letztlich wird sich wohl irgendwann der Bundesgerichtshof mit dieser Thematik befassen müssen.
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