Twitter muss bei Persönlichkeitsrechtsverletzung auch kerngleiche Tweets löschen
Das Landgericht Frankfurt hat entschieden, dass Betroffene von Twitter verlangen können, dass unwahre oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden. Dies gelte auch für sinngemäße Veröffentlichungen mit identischem Äußerungskern (LG Frankfurt/Main, Urteil vom 14. Dezember 2022, Az. 2-03 O 325/22).
Das Landgericht Frankfurt bleibt mit der Entscheidung seiner Linie treu, weshalb das Urteil nicht überraschend ist. Bereits am 8. April 2022 (Az. 2-03 O 188/21) hatte die Pressekammer im Sinne der ehemaligen Bundesministerin Renate Künast gegen Facebook entschieden. Das Gericht entschied, dass untergeschobene Falschzitate in einem Meme auch ohne neuen Hinweis gelöscht werden müssen, wenn diese einen kerngleichen Inhalt haben.
Im nunmehr entschiedenen Fall sah sich der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg durch verschiedene Veröffentlichungen bei Twitter im September 2022 in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dort erschienen Kommentare, welche ihm „eine Nähe zur Pädophilie“ und die Kontaktaufnahme mit "einer möglicherweise minderjährigen Asiatin" unterstellten sowie behaupteten, er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn behauptet, dass er in „antisemitische Skandale“ verstrickt und ein „Teil eines antisemitischen Packs“ sei.
Unwahre Tatsachenbehauptungen und Diffamierungen
Die Pressekammer des Landgerichts stellte in einem einstweiligen Verfügungsverfahren (Eilrechtsschutz) fest, dass die Behauptungen persönlichkeitsrechtsverletzend seien. Die Behauptungen, der Betroffene habe "eine Nähe zur Pädophilie" sowie er habe einen "Seitensprung" begangen, seien unwahre Tatsachenbehauptungen. Die Bezeichnung als "Antisemit" sei grundsätzlich eine Meinungsäußerung. Diese Äußerung sei allerdings im gewählten Kontext rechtswidrig, weil sie nicht zur öffentlichen Meinungsbildung beitrage und erkennbar darauf abziele, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen:
"Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem kon-kreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter etwa aus der Fäkalsprache der Fall sein kann."
Die streitgegenständlichen Äußerungen seien in wiederholender und anprangernder Weise in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium mit hoher Breitenwirkung getätigt und teilweise mit unzulässigen ehrbeeinträchtigenden unwahren Tatsachenbehauptungen zu einer krankhaften sexuellen Orientierung des Betroffenen und seiner Intimsphäre verknüpft worden. Im Ergebnis sei deshalb nicht mehr von einer zulässigen Meinungsäußerung auszugehen.
Auch kerngleiche Verletzungshandlungen sind erfasst
Nach Aufforderung zur Löschung hätte Twitter, als Hostprovider, die weitere Verbreitung der Kommentare unverzüglich unterlassen müssen. Das Landgericht entschied ferner, dass das Unterlassungsgebot nicht nur dann greife, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt werde. Es greife auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht würden (sog. "kerngleiche Verletzungshandlung"):
"Ab dem Zeitpunkt seiner Kenntnis ist der Diensteanbieter nicht nur dazu verpflichtet, den konkreten Inhalt zu sperren, sondern hat auch Vorsorge zu treffen, dass es nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt [...]. Ein Host-Provider ist dabei nicht nur zur einmaligen Löschung oder Entfernung des Zugangs zu einem rechtswidrigen Inhalt, sondern bei einer Störerhaftung zur Unterlassung verpflichtet [...]. Es ist anerkannt, dass ein Host-Provider verpflichtet sein kann, auch kerngleiche Verletzungen zu verhindern [...]."
In seiner Begründung nimmt das Gericht auch explizit Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 3. Oktober 2019, C-18/18). Würden nämlich nur völlig identische Äußerungen die Rechtsfolge eines Unterlassungebots auslösen, könnte die Verpflichtung leicht umgangen werden. Ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit wäre nicht gewährleistet, so die Pressekammer weiter.
Für Unterlassungsverpflichtung ist es egal welcher Twitter-Nutzer die Äußerung veröffentlicht
Die Unterlassungsverpflichtung gelte auch unabhängig davon, von wem - also von welchem Twitter-Nutzer - die Äußerung stammt:
"Entscheidend für den rechtsverletzenden Charakter sind maßgeblich der Inhalt und der Kontext der Äußerung, nicht der Äußernde. Zwar mögen einen Betroffenen Äußerungen bestimmter Personen stärker treffen als anderer Personen. Dies ist aber nicht entscheidend für den Unterlassungsanspruch."
Es würden hierdurch jedoch die Äußerungen nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen seien nur Kommentare, welche als gleichwertig anzusehen seien und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufwiesen. Eine allgemeine Monitoringpflicht oder Überwachungspflicht würde Twitter damit nicht auferlegt, entschied die Pressekammer weiter. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung auch teilweise zurückgewiesen
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wurde jedoch hinsichtlich eines Punktes zurückgewiesen. Die Pressekammer erachtete die Äußerung eines Twitter-Nutzers als zulässig. Dort wurde thematisiert, dass der Betroffene im Jahr 2021 in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. In diesem Tweet werde demnach der wahre Umstand thematisiert, dass dieses Zentrum den Antragsteller als antisemitisch eingestuft hat. Diese Äußerung stehe damit in einem Sachbezug zu einem öffentlichen Diskurs:
„Unabhängig von der Frage, ob die Aufnahme des Antragstellers in diese Liste gerechtfertigt ist, kann der Antragsteller nicht verhindern, dass in der Öffentlichkeit über die Tatsache informiert wird, dass er auf dieser Liste aufgenommen wurde und gegen ihn ein Antisemitismusvorwurf erhoben wird. Hiergegen müsste sich der Antragsteller im Meinungskampf öffentlich zur Wehr setzen.“
Insoweit habe der Betroffene somit keinen Anspruch auf Unterlassung.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Es ist die Berufung zum OLG Frankfurt/Main möglich. Zudem handelt es sich um ein Eilverfahren, so dass auch eine sog. Hauptsacheklage noch denkbar ist.
Das Urteil im Volltext: LG Frankfurt/Main, Urteil vom 14. Dezember 2022, Az. 2-03 O 325/22
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