Zustellungen an Internetriesen auch in deutscher Sprache
Von Rechtsanwalt Christian Schwarz, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Fachanwalt für gewerblicher Rechtsschutz
Es ist häufig ein Katz-und-Maus-Spiel: Ein gerichtliches Schriftstück in deutscher Sprache soll in einem anderen europäischen Land zugestellt werden. Der Empfänger verweigert jedoch die Annahme – mit der Begründung, dass er kein Deutsch verstehe. Das ist zulässig, wenn es der Wahrheit entspricht.
Nach der europäischen Zustellungsverordnung (dort: Art. 8 Abs. 1 EuZVO) kann die Annahme verweigert werden, wenn das Schriftstück nicht in einer Sprache abgefasst ist, die entweder der Empfänger versteht oder welche Amtssprache am Zustellungsort ist. Dies kann jedoch nicht in allen Fällen anzunehmen sein, in denen eine Annahmeverweigerung in der Praxis erfolgt. Dies musste nun insbesondere der Internetgigant Facebook erfahren.
Immer wieder verweigern Unternehmen mit Sitz im Ausland, trotz umfangreicher Tätigkeit in Deutschland, die Annahme von Schriftstücken in deutscher Sprache. Das ist insbesondere im einstweiligen Verfügungsverfahren, in welchem der gerichtliche Beschluss zur Wirksamkeit schnell vollzogen werden muss, für den Rechtssuchenden sehr ärgerlich und hat manchmal fatale Wirkung für den Ausgang des Verfahrens.
Der Empfänger behauptet also, dass er der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sei, um den Inhalt des Schriftstücks vollständig nachvollziehen zu können. Viele Gerichte gaben den Empfängern in früheren Entscheidungen recht. Dies wird jedoch mittlerweile in großen Teilen der jüngeren Rechtsprechung anders gehen. Insbesondere die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung nimmt dies den Empfängern nicht mehr pauschal ab. Eine neue Linie in der Rechtsprechung zeichnet sich ab. Wir geben einen kleinen Überblick über den aktuellen Stand. Dabei beschränken wir uns vorliegend auf die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, ähnlich entschieden jedoch auch schon einige Amts- und Landgerichte (u.a. das Amtsgericht Berlin-Mitte).
Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 18. Dezember 2019, Az. 7 W 66/19)
In einer Entscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 18. Dezember 2019, Az. 7 W 66/19) ging es um die Frage, ob eine einstweilige Verfügung in deutscher Sprache wirksam in Irland bei Facebook zugestellt werden kann. Das Internetunternehmen verweigerte die Annahme der einstweiligen Verfügung mit der Begründung, dass kein Mitglied der Rechtsabteilung ausreichende Sprachkenntnisse besitze, um Beschwerden, Beschlüsse oder Mitteilungen auf Deutsch in vollem Umfang zu verstehen.
Das OLG Düsseldorf tat die Behauptung von Facebook, man könne den Inhalt nicht nachvollziehen, als reine Schutzbehauptung ab:
„Es ist gerichtsbekannt, dass die Antragsgegnerin in Deutschland über eine Vielzahl von Nutzern verfügt, denen sie ihre Plattform vollständig in deutscher Sprache zur Verfügung stellt. Zudem sind sämtliche im Verhältnis zwischen den Parteien verwendeten Dokumente, insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (…) und die Gemeinschaftsstandards (…) in deutscher Sprache gehalten.“
Zudem verwies das Oberlandesgericht Düsseldorf auf die Formulierung der Nutzungsbedingungen von Facebook, welche insbesondere einen deutlichen Hinweis auf das deutsche Produkthaftungsgesetz enthielten:
„Die Formulierung dieser Nutzungsbedingungen wäre ohne gründliche Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Rechts nicht möglich.“
Folglich erweise sich die Verweigerung der Annahme der nicht übersetzten Schriftstücke durch Facebook als rechtsmissbräuchlich und unzulässig.
Oberlandesgericht München (Beschluss vom 14. Oktober 2019, Az. 14 W 1170/19)
Ebenso entschied zuvor das OLG München (Beschluss vom 14. Oktober 2019, Az. 14 W 1170/19). Der Münchener Senat befasste sich insbesondere auch mit dem Sinn und Zweck der europäischen Zustellungsverordnung.
Im Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab sei bereits zu berücksichtigen, dass der Erlass der europäischen Zustellungsverordnung auf der Erwägung beruhte, dass für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedsstaat zugestellt werden sollten, zwischen den Mitgliedsstaaten verbessert und beschleunigt werden müsste. Um die Wirksamkeit der Verordnung zu gewährleisten, sollte die Möglichkeit, die Zustellung von Schriftstücken zu verweigern, auf Ausnahmefälle beschränkt werden:
„Mit dem Ziel, die Wirksamkeit und die Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren zu verbessern und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, stellt die EuZustVO daher den Grundsatz einer direkten Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke zwischen den Mitgliedstaaten auf, was eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren bewirkt.“
Natürlich dürften dem Empfänger des Schriftstücks daraus keine Nachteile erwachsen. Es sei deshalb nicht nur Sorge dafür zu tragen, dass der Empfänger das Schriftstück bloß erhält. Er müsse vielmehr auch in die Lage versetzt werden, den Inhalt sowie die Bedeutung und den Umfang des übermittelten Dokuments zu verstehen, so dass er seine Rechte wirksam gelten machen kann.
Um zu ermitteln, ob der Empfänger eines zugestellten Schriftstücks die Sprache, in der das Schriftstück abgefasst ist, verstehe, habe das Gericht sämtliche Anhaltspunkte zu prüfen. Maßgeblich seien insbesondere die tatsächlich im Unternehmen vorhandenen und verfügbaren sprachlichen Fähigkeiten, auf die der Empfänger in zumutbarer Weise zugreifen kann:
„Betreibt ein Unternehmen in einem bestimmten Staat Geschäfte in größerem Umfang, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es Mitarbeiter hat, die sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit den in diesem Staat ansässigen Kunden kümmern und jedenfalls über ausreichende Kenntnisse der Sprache verfügen, in der die Geschäfte mit den betreffenden Kunden abgewickelt werden.“
Ferner begründe die Tatsache, dass ein Unternehmen sich zur Vertragsabwicklung in einer bestimmten Sprache verpflichtet hat, die widerlegliche Vermutung, dass auch in einem Rechtsstreit mit dem Vertragspartner Zustellungen in dieser Sprache vorgenommen werden dürfen und verstanden werden.
Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass bezüglich juristischer Personen, die Geschäfte im Ausland betreiben, das Übersetzungserfordernis stets entfiele - was im Hinblick auf die Regelung des Art. 8 EuZVO zweifelhaft erschiene. Vielmehr müsse stets eine Einzelfallentscheidung erfolgen, so das OLG München. Und diese fiel vorliegend zu Lasten von Facebook aus.
„Nach dem Vortrag des Antragstellers verfügt die Antragsgegnerin in Deutschland über 31 Mio. Kunden. Sie unterhält ihr Angebot vollständig in deutscher Sprache und stellt alle Vertragsunterlagen (Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen) in deutscher Sprache zur Verfügung. In Ziffer 4. ihrer Nutzungsbedingungen hat sie die Geltung deutschen Rechts und die Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Verbrauchersachen vereinbart. Die Antragsgegnerin betreibt ferner eine deutschsprachige Homepage, auf der u.a. der vom Antragsteller zitierte NetzDG-Transparenzbericht vom 27.08.2018 eingestellt ist.“
Aufgrund des Gesamtbildes zeigte sich das OLG München davon überzeugt, dass für die Betreuung deutscher Kunden - ggf. durch eine weitere zum Facebook-Konzern gehörende Gesellschaft - Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkenntnissen vorhanden seien. Es sei zudem davon auszugehen, dass bei einer Zahl von 31 Mio. in Deutschland ansässigen Facebook-Kunden Rechtsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten in einer Größenordnung anfielen, die es schon aus wirtschaftlichen Gründen naheliegend erscheinen lassen, entsprechend qualifizierte deutschsprachige Mitarbeiter zu beschäftigen.
Bei einer unberechtigten Annahmeverweigerung gilt die einstweilige Verfügung nach § 179 Satz 3 ZPO als zugestellt.
Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 9. Mai 2019, Az. 15 W 70/18)
Ähnlich entschied auch das OLG Köln (Beschluss vom 9. Mai 2019, Az. 15 W 70/18). Auch der Kölner Senat ging von einer unwirksamen Annahmeverweigerung aus.
Für die Sprachkenntnis genüge es, wenn im Rahmen einer üblichen dezentralen Organisationsstruktur eines Unternehmens die mit der Sache befasste Abteilung über einen entsprechenden Sprachkundigen verfüge, dessen Einschaltung in die Übersetzung des Schriftstücks nach den gesamten Umständen erwartet werden kann.
Zu würdigen sei dabei, ob auf Grund des Umfangs der Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Land davon ausgegangen werden kann, dass im Unternehmen Mitarbeiter vorhanden sein müssten, welche sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Kunden kümmern:
„Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin nicht nur Millionen deutsche Kunden hat und diese – wie der aktenkundige außergerichtliche Kommunikationsverkehr eindrucksvoll belegt – auch durchgehend auf Deutsch selbst auch in Fragen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes umfassend „bedient“. Die Antragsgegnerin ist zudem schon wegen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gehalten, entsprechende Stellen im Unternehmen zu ertüchtigen und vorzuhalten – womit sie im Übrigen auch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit betreibt“
Somit war auch hier die Zustellung in deutscher Sprache als wirksam anzusehen.
Fazit
Die zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte (sowie der Instanzgerichte mit ähnlichem Tenor) sind äußerst begrüßenswert und werden auch auf viele andere internationale (Internet-)Unternehmen Anwendung finden. Es ist auch wenig nachvollziehbar, dass Unternehmen, die auf dem deutschen Markt viele Millionen Kunden bzw. Nutzer haben sowie entsprechende Verträge und Nutzungsbedingungen/AGB formulieren angeblich über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügen, um mit dieser Art von Taschenspielertrick die Annahme von gerichtlichen Verfügungen zu verweigern. Insbesondere im Eilrechtsschutz – aber natürlich auch auf dem üblichen Klageweg - stellt die Rechtsauffassung der Oberlandesgerichte eine enorme Erleichterung dar, auf deren Grundlage die Rechtssuchenden zu einem wünschenswerten Ergebnis kommen.
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