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Erste Entscheidung im Fall Böhmermann gegen Erdogan – mit kurioser Begründung

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Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL. M.

Fachanwalt für IT-Recht
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Erste Entscheidung im Fall Böhmermann gegen Erdogan – mit kurioser Begründung

Von Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL.M.
Fachanwalt für IT-Recht und gewerblicher Rechtsschutz

Das ist sie nun, die wahrscheinlich erste gerichtliche Entscheidung im Fall Böhmermann. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung beantragt – sie wurde jedoch nur teilweise erlassen (Beschluss vom 17. Mai 2016, 324 O 255/16).

Das Gericht untersagte bestimmte Passagen des umstrittenen „Schmähgedichts“ von Böhmermann, andere Zeilen wiederum hielt es für zulässig – sie seien von der Meinungsfreiheit umfasst. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig.

Der Entscheidung liege eine Abwägung zwischen der Kunst- und Meinungsfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Erdogans zugrunde.

In einer Pressemitteilung des Landgerichts Hamburg heißt es dazu:

„In Form von Satire geäußerte Kritik am Verhalten Dritter finde ihre Grenze, wo es sich um eine reine Schmähung oder eine Formalbeleidigung handele bzw. die Menschenwürde angetastet werde. Diese Grenze sei nach Auffassung der Kammer durch bestimmte Passagen des Gedichts überschritten worden, die schmähend und ehrverletzend seien. Zwar gelte für die Einkleidung eines satirischen Beitrages ein großzügiger Maßstab, dieser berechtige aber nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers. Durch das Aufgreifen rassistisch einzuordnender Vorurteile und einer religiösen Verunglimpfung sowie angesichts der sexuellen Bezüge des Gedichts überschritten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß.

Die übrigen Teile setzten sich dagegen in zulässiger Weise satirisch mit aktuellen Vorgängen in der Türkei auseinander. Der Antragsgegner trage als Staatsoberhaupt politische Verantwortung und müsse sich aufgrund seines öffentlichen Wirkens selbst harsche Kritik an seiner Politik gefallen lassen. Hinzunehmen sei auch, dass der Antragsgegner sich in satirischer Form über den Umgang des Antragstellers mit der Meinungsfreiheit lustig mache.“

Gleichzeitig heißt es jedoch auch:

„Zudem seien die konkrete Präsentation und der Zusammenhang zu berücksichtigen, in den das Gedicht gestellt worden sei.“

Doch genau das, scheint das Gericht nicht ausreichend getan zu haben. Die Richter haben sich das Gedicht scheinbar  – isoliert – zur Brust genommen und es Satz für Satz abgeklopft. Aus einer Anlage, die vom Landgericht Hamburg veröffentlicht worden ist, ergibt sich, welche Passagen erlaubt (schwarz) und welche verboten (rot) sein sollen:

    Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan, der Präsident. Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinefurz riecht schöner. Er ist der Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt. Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken, ... 1 Kurden treten, Christen hauen und dabei Kinderpornos schauen. Und selbst abends hei ss t ‘ s statt schlafen, Fellatio mit hundert Schafen. Ja, Erdogan ist voll und ganz, ein Präsident mit kleinem Schwanz. ... 1 Jeden Türken hört man flöten, die dumme Sau hat Schrumpelklöten. Von Ankara bis Istanbul weiß jeder, dieser Mann ist schwul, pervers, verla ust und zoophil - Recep Fritzl Priklopil. Sein Kopf so leer wie seine Eier, der Star auf jeder Gangbang - Feier. Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt, das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident. 1 Die Auslassungszeichen kennzeichnen Unterbrechungen im Gedichtvortrag in der Sendung vom 31. März 2016

Ganz bewusst klammern die Richter so jedoch sowohl die lange An- und Abmoderation von Jan Böhmermann aus, in welcher er mehrfach darauf hinweist, dass die Veröffentlichung eines solchen Gedichts nicht erlaubt wäre. Auch die zeitliche Vorgeschichte eines NDR Beitrages und die Reaktion Erdogans darauf den deutschen Botschafter einzubestellen,scheint nicht berücksichtigt zu sein. Schließlich weist Böhmermann während des Vortrags noch zwei Mal darauf hin. An diesen Stellen hat das Gericht Auslassungen vorgenommen – mit dem Hinweis: „Die Auslassungszeichen kennzeichnen Unterbrechungen im Gedichtvortrag in der Sendung vom 31. März 2016.“ Das erscheint nun völlig absurd - wenn auch bei einer isolierten Bewertung konsequent.

Dies zeigt demnach deutlich, dass die konkrete Präsentation und der Zusammenhang bei der rechtlichen Bewertung nicht ausreichend herangezogen worden sind. Das Gedicht isoliert, ohne Anlass und Erläuterungen, wäre wohl unstreitig als Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zu werten. Doch es wurde eben gerade nicht allein vorgetragen, sondern in einem satirischen Gewand und einem zeitlichen Kontext mit einer gewissen Vorgeschichte. Eine losgelöste Bewertung des Gedichts erscheint jedoch verfehlt.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, sowohl Böhmermann als auch Erdogan können dagegen vorgehen. Mit einem möglichen Strafverfahren gegen den Komiker, unter anderem nach § 103 StGB, hat die Entscheidung im Übrigen nichts zu tun – das Landgericht Hamburg entschied in einem zivilgerichtlichen Verfahren.

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