BGH zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Angehörigen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob eine Berichterstattung über den Tod einer nahestehenden Person auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angehörigen, in diesem Fall des Ehemanns, beeinträchtigt. Die Karlsruher Richter hatte demnach zu klären, wer bei einer behaupteten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht Ansprüche geltend machen kann (BGH, Urteil vom 17. Mai 2022, Az. VI ZR 123/21).
Der Fall
Der Kläger war mit einer bekannten Schauspielerin verheiratet, welche während eines gemeinsamen Urlaubs in Italien bei einem Bootsausflug einen tödlichen Herzstillstand erlitt. Wiederbelebungsversuche eines per Hubschrauber abgeseilten Notarztes scheiterten. Zwei Tage später teilte der damalige Rechtsanwalt des Klägers der Presseagentur dpa mit, dass die Schauspielerin unerwartet verstorben sei. Ebenso teilte er mit, dass weitere Angaben auf Bitten der Familie nicht gemacht würden.
Die Beklagte ist Verlegerin von zwei Prominenten- und Freizeitmagazinen, welche wenige Tage später über das Unglück berichteten. In den beiden Ausgaben wurde über die Abläufe des Unglücks auf dem Meer (u.a. mit Schilderung der Rettungsversuche des Ehemanns) und sein Bangen um das Leben seiner Ehefrau berichtet. Zudem wurde in den Zeitschriften über die vergeblichen Rettungsversuche durch den eingetroffenen Notarzt sowie die Todesursache samt Obduktionsergebnis berichtetet.
Der Kläger verlangt Unterlassung der Berichterstattung. Das Landgericht Berlin sprach ihm den Anspruch in erster Instanz zu (LG Berlin, Urteil vom 6. August 2020, Az. 27 O 657/19), in der Berufungsinstanz hob das Kammergericht Berlin die Entscheidung teilweise wieder auf (KG, Urteil vom 1. April 2021, Az. 10 U 1066/20).
Die Entscheidung des BGH
Der BGH entschied, dass der Kläger durch die Berichterstattung unmittelbar in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK), nämlich in seiner Privatsphäre, beeinträchtigt wurde. Vom Schutz der Privatsphäre umfasst seien Situationen großer emotionaler Belastung, wozu auch das Bangen um das Leben eines nahen Angehörigen gehören könne.
Daran ändere auch die Mitteilung an die Presseagentur nichts: Diese enthielte nur die Angabe über den plötzlichen Tod der Schauspielerin, weitere Informationen wurden nicht mitgeteilt. Darin sei insbesondere keine sog. mediale Selbstöffnung zu sehen. Eine solche wird nach der Rechtsprechung dann angenommen, wenn der Betroffene selbst bestimmte Umstände seines Privatlebens der Öffentlichkeit preisgibt und somit seinen diesbezüglichen Privatsphärenschutz aufgibt.
Der Kläger sei durch die Schilderungen auch unmittelbar in seiner Privatsphäre verletzt worden, auch wenn sich die Berichterstattung in erster Linie mit dem Tod der Ehefrau befasste:
„Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind.“
und weiter:
„Zwar kann durch eine Presseberichterstattung in seinem Persönlichkeitsrecht unmittelbarbetroffen nicht nur sein, wer im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht oder auf wen sie zielt. Doch muss die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig erscheinen, damit das Erfordernis der Unmittelbarkeit noch gewahrt bleibt.
Nicht genügen kann, wenn der Dritte sich wegen seiner engen Beziehung zum Dargestellten durch eine Berichterstattung, die ihn selbst weder ausdrücklich noch stillschweigend erwähnt, persönlich betroffen fühlt.
Ebenso wenig reicht aus, dass Leser den beanstandeten Bericht zum Anlass nehmen, den Dritten auf den Bericht anzusprechen und zu belästigen. Solche Ausstrahlungen auf die Person des Dritten, in denen sich gar nicht der Inhalt der Veröffentlichung, sondern nur noch die persönliche Verbundenheit zu der in die Öffentlichkeit gerückten Person ausdrückt, bleiben als bloße Reflexwirkungen schutzlos.“
Demnach hänge es von den Umständen einer Berichterstattung über den Tod einer Person im Einzelfall ab, ob sie das Persönlichkeitsrecht eines nahen Angehörigen unmittelbar oder nur mittelbar beeinträchtigt sei.
Dies nahm der BGH im vorliegenden Fall an: Zwar stünde der Kläger in der Berichterstattung nicht im Mittelpunkt der Schilderungen. Der gesamte Abschnitt von dem Unglück im Meer bis zum Ende der Behandlung im Krankenhaus betreffe die letztlich zum Tod führende Verschlechterung des Gesundheitszustands der Ehefrau des Klägers sowie sein Erleben der Vorgänge. Er sei quasi, das ergebe sich aus dem zu berücksichtigen gesamten Kontext der Berichterstattung, in den Artikeln „zwischen den Zeilen“ präsent. Die Einbeziehung seiner Person werde in der Berichterstattung noch verstärkt durch ein jeweils beigefügtes Bild aus früheren Zeiten, das ihn zusammen mit seiner verstorbenen Ehefrau zeigt und in seinem Untertitel unter anderem auf die zehnjährige Ehe verweist.
Allerdings seien die Beeinträchtigungen nur teilweise rechtswidrig, so dass der Kläger – nach Abwägung des BGH – im Ergebnis einen Teil der Berichterstattung dulden müsse.
Fazit
Der BGH befasst sich in der Entscheidung mit einem entscheidenden Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: der Betroffenheit. Nämlich nur, wer unmittelbar in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt ist, kann sich gegen eine Veröffentlichung in den Medien erwehren.
Diesbezüglich setzt der BGH im vorliegenden Fall einen nicht allzu strengen Maßstab an: Auch wenn der Artikel im Wesentlichen das tödliche Unglück der Schauspielerin thematisierte, sah der BGH – aufgrund der ebenfalls geschilderten emotionalen Ausnahmesituation des anwesenden Ehemanns in einem privaten Umfeld – eine unmittelbare Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts als gegeben an. Hierfür sei es demnach nicht notwendig, dass der Betroffene im Mittelpunkt der Berichterstattung steht. Anders wäre dies jedoch dann zu beurteilen, wenn eine bloß reflexartige Ausstrahlung auf die Person erfolge, was vorliegend nicht anzunehmen sei.