Unzulässige Verdachtsberichterstattung über Zuchtbetrieb für Kaninchen
Wer kritisch über den Verdacht einer Verfehlung einer Person oder eines Unternehmens identifizierend berichten möchte, muss ein paar Feinheiten beachten. Ansonsten droht die Berichterstattung schon aus formellen Gründen unzulässig zu werden.
Dies musste nun eine Tierschutzorganisation erfahren, welche auf ihrem Internet-Presseportal sowie über einen sog. ots-Ticker Nachrichten über einen Zuchtbetrieb für Kaninchen verbreitete. Unter namentlicher Nennung der Firma, des Standorts und der dort gezüchteten Rassen berichtete der Verein unter anderem über angebliche Vorwürfe von „Tierquälerei“, „schockierende Zustände“ und „tierschutzwidrige Nottötungen“.
Die Entscheidung des OLG Stuttgart
Der Zuchtbetrieb nahm die Tierschutzorganisation sowie ihren Vorsitzenden auf Unterlassung in Anspruch.
Nach einer außergerichtlichen Abmahnung erwirkte das Unternehmen eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Ellwangen (bestätigt mit: Urteil vom 9. September 2022, Az. 1 O 66/22) mit welcher den Antragsgegnern untersagt wurde unter Verwendung bestimmter Begriffe – unter anderem den Namen des Betriebs und der dort gezüchteten Kaninchenrasse sowie den Standort – identifizierend über den Zuchtbetrieb zu berichten. Das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts (OLG Stuttgart, Urteil vom 1. Februar 2023, Az. 4 U 144/22).
Das Gericht sah einen Verstoß gegen die presserechtlichen Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung. Die Tierschutzorganisation hatte über die vermeintlichen Vorfälle im Zuchtbetrieb berichtet, ohne den Betrieb oder dessen Gesellschafter vor der Veröffentlichung mit den Vorwürfen zu konfrontieren und ihr somit eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Der Vorsitzende der Tierschutzorganisation, so das Gericht, sei als freier Journalist tätig und hätte die Grundsätze kennen und einhalten müssen. Zudem handele es sich bei der Tierschutzorganisation um einen Verein, welcher laut seiner Satzung professionelle Öffentlichkeitsarbeit betreibe und bereits zahlreiche Pressmitteilungen veröffentlicht habe. Daraus, dass der Verein für sich das Grundrecht der Pressefreiheit in Anspruche nehme folge umgekehrt, dass er sich auch an die für die Medien geltenden Sorgfaltspflichten halten müsse. Die Möglichkeit eine Stellungnahme einzuholen, sei auch ohne Weiteres möglich gewesen.
Das OLG Stuttgart stellte auch noch einmal klar, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht nur auf die Berichterstattung über strafrechtliche Verfahren Anwendung fänden, sondern auch auf Berichte über ein anderes rechtwidriges Verhalten.
Ausblick für die Praxis
Die Entscheidung zeigt deutlich, dass die Rechtsprechung nicht nur „klassische Medien“ in die Pflicht zur Einhaltung von presserechtlichen Sorgfaltspflichten nimmt. Auch andere Akteure, welche medienähnlich auftreten, sind an die Vorgaben gebunden – vorliegend namentlich ein Verein, welcher regelmäßig Pressearbeit betreibt. Unter dieser Maßgabe dürften auch viele andere Vereine, welche entsprechende Lobby- oder Pressearbeit betreiben, sowie zahlreiche Internetpersönlichkeiten mit größerer Reichweite (z.B. YouTuber, Influencer) verpflichtet sein, bei Verdachtsäußerungen die Vorgaben der Rechtsprechung einzuhalten.
Auch macht das Gericht in der Entscheidung noch einmal deutlich, dass mit „Verdacht“ nicht notwendigerweise ein strafrechtlicher Vorwurf gemeint ist, über welchen berichtet wird. Jede Veröffentlichung einer vermeintlichen Verfehlung löst die Pflichten des berichtenden Mediums aus.
Der Grund hierfür ist recht einleuchtend: Natürlich sollen die Medien über Fehltritte von bestimmten Personen und Unternehmen berichten dürfen, denn eine kritische Berichterstattung ist ihre Aufgabe. Jedoch besteht bei einer solchen Berichterstattung – egal ob sich der Verdacht am Ende bestätigt oder nicht – immer die Gefahr einer schweren Ehrverletzung oder Rufschädigung, denn irgendetwas bleibt immer hängen. Aus diesem Grund sind die Medien zu einem sorgfältigen Vorgehen verpflichtet, um die negativen Auswirkungen möglichst gering zu halten.
Zu den Grundsätzen, welche im Falle einer Verdachtsberichterstattung einzuhalten sind, gehören nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 16. Februar 2016, Az. VI ZR 367/15) in der Regel folgende Punkte:
- Mindestbestand an Beweistatsachen: Es müssen Tatsachen vorliegen, welche für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und der Meldung somit einen Öffentlichkeitswert verleihen.
- Vorgang von gravierendem Gewicht: Es muss sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln - also nicht um eine Angelegenheit, welche nur ein geringes Interesse der Öffentlichkeit mit sich bringt.
- Keine Vorverurteilung des Betroffenen: Es darf nicht dazu kommen, dass der Betroffene durch die Verdachtsberichterstattung eine Vorverurteilung in der Öffentlichkeit befürchten muss. Dieser darf also insbesondere nicht an den Pranger gestellt werden. Das bedeutet auch, dass die Medien auch entlastende Tatsachen heranziehen müssen.
- Gelegenheit zur Stellungnahme: Zu guter Letzt muss dem Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit gegeben werden, sich zu den konkreten Vorwürfen zu äußern. Die Stellungnahme ist sodann in der Berichterstattung zu berücksichtigen.
Es wird durchaus vertreten, dass die gesamte Berichterstattung unzulässig ist, wenn einer der vorgenannten Punkte nicht erfüllt ist. Insbesondere der Gelegenheit zur Stellungnahme wird hierbei immer ein starkes Gewicht beigemessen. Räumt man dem Betroffenen nämlich diese Möglichkeit nicht ein, nimmt man ihm die Chance die Vorwürfe womöglich vor der ersten Berichterstattung gerade zu rücken. Hierbei muss das Medium auch einige Bemühungen unternehmen, den Betroffenen zu erreichen. So entschied der BGH, dass selbst dann versucht werden muss eine Stellungnahme einzuholen, wenn der Betroffene nicht im ersten Moment greifbar ist, z.B. weil sich dieser in Untersuchungshaft befindet (BGH, Urteil vom 16. November 2021, Az. VI ZR 1241/20).
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