Zwischen Feuer und Freiheit - Verdachtsberichterstattung und Persönlichkeitsrecht im Fall Till Lindemann
Die Meinungsäußerung ist ein hohes Gut – das steht außer Frage. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht - und selbstverständlich auch ein solches sogenannter Promis oder Personen an denen ein besonderes öffentliches Interesse besteht - aber explizit auch.
Zur Tatsache, dass die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos ist, hatten wir bereits berichtet, ebenso zu den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung.
Verdachtsberichtestattung
Zu den Grundsätzen, welche im Falle einer Verdachtsberichterstattung einzuhalten sind, gehören nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 16. Februar 2016, Az. VI ZR 367/15) in der Regel folgende Punkte:
- Mindestbestand an Beweistatsachen: Es müssen Tatsachen vorliegen, welche für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und der Meldung somit einen Öffentlichkeitswert verleihen.
- Vorgang von gravierendem Gewicht: Es muss sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln - also nicht um eine Angelegenheit, welche nur ein geringes Interesse der Öffentlichkeit mit sich bringt.
- Keine Vorverurteilung des Betroffenen: Es darf nicht dazu kommen, dass der Betroffene durch die Verdachtsberichterstattung eine Vorverurteilung in der Öffentlichkeit befürchten muss. Dieser darf also insbesondere nicht an den Pranger gestellt werden. Das bedeutet auch, dass die Medien auch entlastende Tatsachen heranziehen müssen.
- Gelegenheit zur Stellungnahme: Zu guter Letzt muss dem Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit gegeben werden, sich zu den konkreten Vorwürfen zu äußern. Die Stellungnahme ist sodann in der Berichterstattung zu berücksichtigen.
Das nur zur Einleitung.
Es geht um den Rammstein Sänger.
Wir wollten eigentlich zunächst nicht zu Till Lindemann und Rammstein schreiben, denn neben den oben genannten wichtigen rechtsstaatlichen Prinzipien, ist (uns) die Unschuldsvermutung natürlich sehr wichtig.
Gerichte sollten über Schuld und Unschuld von Personen entscheiden und niemand öffentlich an den Pranger gestellt werden. Gleichzeitig muss die Presse unter den oben beschriebenen Voraussetzungen aber über vermeintliche Missstände berichten dürfen, insbesondere wenn sichergestellt ist, dass es keine Vorverurteilung erfolgt und hinreichend erkennbar ist, das sich die Sache eben noch im Verdachtsstadium befindet.
Erste Gerichtsverfahren und Entscheidungen
Jetzt zum Status Quo in der causa Lindemann vs. Spiegel, NDR, Süddeutsche Zeitung, aber auch Shelby Lynn, „Kayla Shyx“ und andere Betroffene (Stand Ende August 2023): Nachdem das Landgericht Hamburg zunächst dem Spiegel die Berichterstattung über Rammstein-Sänger Till Lindemann in Teilen untersagt hatte (Beschl. v. 14.7.2023 Az. 324 O 228/23), sind in der Zwischenzeit auch einstweilige Verfügungen u.a. gegen NDR-Berichte auf tagesschau.de (Beschl. v. 14.08.2023, Az. 324 O 298/23 sowie Beschl. v. 10.08.2023, Az. 324 O 273/23) und die Süddeutsche Zeitung (Beschl. v. 10.08.2023, Az.: 294/23), aber auch Kaya Loska aka Kayla Shyx (24.7.2023 - Az. 324 O 264/23) ergangen.
In allen Verfahren geht es um den geäußerten Verdacht der Vergewaltigung oder Vornahme sexueller Handlungen an Frauen ohne deren Einwilligung oder Zustimmung – teilweise ist auch die vermeintliche Verabreichung von Drogen bzw. so genannten K.O.-Tropfen Gegenstand der Auseinandersetzungen.
Lindemann stehen nach Einschätzung des LG Hamburg (Az. 324 O 228/23) wegen Verletzung seinen allgemeinen Persönlichkeitsrechts Unterlassungsansprüche aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Soweit man sich hingegen unter dem Gesichtspunkt der Intimsphäre darum bemühte, Berichte zu sexuellen Kontakten und/oder einem vermeintlichen Rekrutierungssystem junger Damen verbieten zu lassen, sind solche bislang wegen rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung abgewiesen worden. Nach einem Widerspruch des Spiegels wurde in dieser Sache ermalig am 25. August 2023 auch mündlich und öffentlich verhandelt. Ersten Verlautbarungen nach tendiert die Kammer dazu die ausgesprochene Unterlassungsverfügung zu bestätigen.
Erfolgreich war Lindemann auch gegen die Influencerin Kaya Loska. In einem YouTube-Video hatte diese von eigenen Erfahrungen eines Besuches einer After-Show-Party bei Rammstein berichtet und eher unabhängig davon Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann erhoben. Das LG Hamburg, (Az. 324 O 264/23) untersagte insgesamt acht Passagen aus dem Video.
So darf sie z.B. nicht mehr behaupten, dass Shelby Lynn unter Drogen gesetzt wurde oder Mädchen „besoffen gemacht“ werden, aus denen sich dann Lindemann eine Sexpartnerin aussucht. Auch Meinungsäußerungen durch Vergleiche mit dem verurteilten Sexualstraftäter R. Kelly sind laut Gericht unzulässig. Lediglich Vorwürfe rund um das Fan-Castingsystem, das um Lindemann existieren könnte, wurden nicht beanstandet. Subjektiv nachvollziehbar, aber dennoch etwas bizarr, dass die betroffene junge Dame, im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung diese in einem neuen Video bei Instagram verarbeitete, in dem sie vorliest, was genau sie alles nicht mehr äußern dürfe.
In der jüngsten Entscheidung zugunsten Irin Shelby Lynn (Beschl. v. 15.08.2023, Az. 324 O 256/23) wies die Pressekammer des LG Hamburg nun sämtliche Unterlassungsanträge von Lindemann gegen die Influencerin zurück.
Diese hatte mit ihrem Foto auf Instagram mit blauen Flecken und mit dem englischen Text sinngemäß "Auf dem Konzert wurde ich unter Drogen gesetzt, ich hatte nur zwei Drinks auf der Vorab-Party. Und Till gab allen einen Tequila Shot. Ich weiß nicht, wann oder wie das passiert ist" den vermeintlichen Skandal erst ausgelöst.
Was den Hauptvorwurf in dem Posting angeht, ohne ihr Wissen unter Drogen gesetzt worden zu sein ("I got spiked"), kommt die Kammer zu dem Schluss, dass dies eine zulässige Meinungsäußerung von der Irin sei.
Das Gericht kommt zu diesem Schluss, da das Posting im Kontext weiterer zu sehen sei und daher für die Leser erkennbar sei, dass Lynn nicht behauptete zu wissen, wie ihr die Drogen verabreicht worden seien oder wer ihr die Drogen verabreicht habe. Vielmehr habe sie erkennbar die Verabreichung von Drogen wertend daraus geschlussfolgert, dass sie lediglich drei Getränke zu sich genommen und sich sodann plötzlich in einem für sie nicht anders erklärlichen Zustand befunden habe – „ I don’t know when this happend or how“.
Abgeschlossen sind die Fragen und zivilrechtlichen Verfahren zumeist nicht. Wir bleiben am Ball.
Strafrechtliches Ermittlungsverfahren in Berlin eingestellt
In diesem Zusammenhang wurden von Dritten, also nicht selbst "nicht am Tatgeschehen beteiligten Personen", Strafanzeigen erstattet. Das im Juni daraufhin wegen Anfangsverdacht gegen Lindemann wegen ihm vorgeworfener Sexualdelikte und die etwaige Abgabe von Betäubungsmittelneingeleitete eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Berlin mittlerweile eingestellt, wie diese gerade bestätigte.