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LAG Düsseldorf, Urteil vom 29. August 2002, AZ: 13 Sa 408/02, - Gehalt bei massearmen Insolvenzverfahren

Leitsätzliches

Forderungen aus Arbeitsverhältnissen gehören zu den Altmasseforderungen, wenn sie in ihrem Rechtsgrund (Vertragsschluss) bereits vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet waren. Zu den privilegierten Forderungen gehören nur solche Forderungen aus Dauerschuldverhälntnissen, die der Verwalter selbst vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet hat. Die bereits vor der Insolvenzeröffnung, wenn auch nachträglich fällig gewordenen Forderungen des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, die unabhängig davon sind, ob der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer beschäftigt hat oder diesem der Anspruch aus Annahmeverzug zusteht, sind als Masseverbindlichkeiten im Rahmen der Rangordnung nach der auf sie entfallenden Quote zu berichtigen.

LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 13 Sa 408/02

Entscheidung vom 29. August 2002

 

 

In dem Rechtsstreit

 

pp.

 

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf

auf die mündliche Verhandlung vom 29.08.2002

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als

Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin ... und den

ehrenamtlichen Richter ...

 

für R e c h t erkannt:

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts

Wuppertal vom 14.02.2002 . 2 Ca 23/02 . wird auf Kosten des Klägers

zurückgewiesen.

 

(Tenor berichtigt wegen offensichtlichem Übertragungsfehlers gemäß Beschluss vom

12.09.2002)

 

 

T A T B E S T A N D :

Die Parteien streiten über die Abwicklung von Gehaltsansprüchen des Klägers im massearmen Insolvenzverfahren. Der Kläger macht im Berufungsrechtszug einen Zahlungsanspruch für seine Gehaltsansprüche aus den Monaten Juli bis August 1999 abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes geltend.

 

Der Kläger stand bei der Gemeinschuldnerin in der Zeit von 1994 bis zum 30.09.1999 in einem Arbeitsverhältnis. Seine Vergütung betrug zuletzt 12.500,-- DM brutto. Ab April 1999 hat er keine Arbeitsvergütung mehr erhalten. Am 01.05.1999 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Am 12.05.1999 zeigte der Insolvenzverwalter dem Amtsgericht Wuppertal das Vorliegen von Masseunzulänglichkeit an. Der Insolvenzverwalter hat die ausstehenden Gehaltsforderungen unter Berücksichtigung der Lohnersatzleistungen als quotenmäßig zu berichtigende Masseverbindlichkeit anerkannt.

 

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stünde für die Entgeltforderungen Juli bis September 1999 ein nach § 209 Abs. 1 Ziffer 2 InsO in Verbindung mit Abs. 2 Ziffer 2 privilegierter Zahlungsanspruch zu.

 

Der Beklagte stellte den Kläger mit Wirkung ab 04.05.1999 von der weiteren Mitarbeit mangels einer ausreichenden Masse und der Tatsache, dass keine Aufträge mehr vorhanden sind, frei. Mit Schreiben vom 25.06.1999 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen fristgerecht zum 30.09.1999. Die vertragliche Kündigungsfrist betrug sechs Monate zum Halbjahresende. Mit der gegen die Kündigung gerichteten Klage unterlag der Kläger sowohl erstinstanzlich als auch im Berufungsrechtszug vor der erkennenden Kammer am 29.06.2000 (13 Sa 484/00).

 

Der Kläger stellt im Berufungsrechtszug folgenden Antrag,

 

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger (28.321,16 DM) 14.480,33 EUR

nebst 4 % Zinsen aus (12.500,00 DM) 6.391,13 EUR vom 01.07 - 29.07.1999,

4 % Zinsen aus (9.407,13 DM) 4.809,77 EUR vom 30.07.1999 - 30.04.2000

und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus (9.407,13 DM) 4.809,77 EUR ab 01.05.2002,

nebst weiteren 4 % Zinsen aus (12.500,00 DM) 6.391,13 EUR vom 01.08 - 30.08.1999, 4 % Zinsen aus (9.407,13 DM) 4.809,77 EUR vom 31.08.1999 - 30.04.2000

und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus (9.407,13 DM) 4.809,77 EUR ab 1.05.2000,

nebst weiteren 4 % Zinsen aus (5.500,00 DM) 6.391,13 EUR vom 01.09 - 29.09.1999,

4 % Zinsen aus (9.506,90 DM) 4.860,78 EUR vom 30.09.1999 - 30.04.2000

und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus (9.506,90 DM) 4.860,78 EUR ab 01.05.2000 zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er wiederholt seine Auffassung, dass es sich bei den Forderungen des Klägers um eine nachrangige Altmasseverbindlichkeit handele, bezüglich derer nur die Feststellung nach Maßgabe des Erkenntnisses des Arbeitsgerichts Wuppertal auf den vom Kläger gestellten Hilfsantrag verlangt werden kann.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, vornehmlich die Berufungsbegründung vom 04.06.2002 (Bl. 75 f. d. A.) und die Berufungserwiderung vom 10.07.2002 (Bl. 80 f. d. A) sowie den gesamten sonstigen Sachvortrag und Akteninhalt, der Gegenstand der mündlichen Erörterung war, Bezug genommen (§ 69 Abs. 3 ArbGG n. F.).

 

 

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E

 

 

I.

Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 518 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) begründet worden.

 

II.

In der Sache hatte die Berufung keinen Erfolg.

 

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Leistungsklage abgewiesen. Entgegen der Auffassung der Berufung sind die Gehaltsansprüche des Klägers für Juli, August und September 1999 nicht nach der Vorschrift des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeiten vorrangig gegenüber Massealtgläubigern zu befriedigen und damit dem Vollstreckungsverbot des § 210 InsO entzogen.

 

Nach der Überzeugung der Kammer beruht die abweichende Auffassung der Berufung auf einem grundlegenden Fehlverständnis der einschlägigen Vorschriften.

 

Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, ein Zahlungsanspruch ergäbe sich nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 Ziffer 2 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Ziffer 2. Er meint, die Ansprüche rührten aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte. Diesen Termin habe der Verwalter versäumt. Die Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden seien, seien im Rang nach den Verfahrenskosten als Neumasseverbindlichkeiten zu begleichen.

 

Die Ansicht der Berufung rechtfertigt sich nicht aus der vorgelegten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2001, 9 AZR 459/00. Aus diesen Entscheidung lässt sich nicht ableiten, dass die vom Kläger eingeklagten Forderungen die Zeit vor dem ersten Kündigungstermin betreffen.

Der Insolvenzverwalter hat dargelegt, dass angesichts des Streitpunkts zwischen den Parteien, ob eine Anhörung des Betriebsrats erforderlich sei, eine frühere Kündigungsmöglichkeit nicht bestanden habe, da erst durch die Information des Betriebsrats, dass der Kläger leitender Angestellter gewesen sei, die Entbehrlichkeit einer Betriebsratsanhörung festgestanden habe.

Die eingeklagten Forderungen sind Altmasseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Sie sind weder Kosten des Insolvenzverfahrens nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO noch wurden sie nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Zwar trat ihre Fälligkeit erst nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (12.05.1999) ein. Unter § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO und § 209 Abs. 2 Nr. 2 fallen jedoch nicht später fällig werdende Forderungen aus einem schon vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründeten Dauerschuldverhältnis.

 

Nach § 209 Abs. 1 Ziffer 2 InsO sind als Neumasseverbindlichkeiten im Rang nach den Verfahrenskosten diejenigen Verbindlichkeiten zu begleichen, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurden, ohne Verfahrenskosten zu sein. Im Dauerschuldverhältnis, das bei Verfahrenseröffnung nicht gekündigt ist, sind Neumasseverbindlichkeiten diejenigen Teile des Anspruchs, die im eröffneten Verfahren entstanden, d. h. begründet worden sind nach dem ersten Kündigungszeitpunkt, der auf die Masseunzulänglichkeitsanzeige folgt. Dabei ist die Entstehung der vorrangig zu befriedigenden Neumasseverbindlichkeiten unabhängig von der Inanspruchnahme der Gegenleistung durch den Insolvenzverwalter.

 

Nach dem Sinn der Vorschriften, dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit zu gewährleisten, im Interesse der Masse Verträge einzugehen und Verbindlichkeiten zu erfüllen, können zu den privilegierten Forderungen aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Kündigungstermin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nur solche gerechnet werden, die der Verwalter vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit selbst begründet hatte. Nur für derartige Forderungen sah die neue Insolvenzordnung nach dem Verständnis der Kammer ein gesteigertes Schutzbedürfnis. Die bereits vor der Insolvenzeröffnung, wenn auch nachträglich fällig gewordenen Forderungen des Klägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, die unabhängig davon sind, ob der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer beschäftigt hat oder diesem der Anspruch aus Annahmeverzug zusteht, sind als Masseverbindlichkeiten im Rahmen der Rangordnung nach der auf sie entfallenden Quote zu berichtigen. Ihre Entstehung als Altmasseverbindlichkeit ist unabhängig von der Inanspruchnahme der Gegenleistung, sie sind im Arbeitsvertrag vor der Insolvenzeröffnung und vor der Masseunzulänglichkeitsanzeige begründet. Mit dieser Auffassung sieht sich die Kammer in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht, das ausgeführt hat, unter § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO fielen nicht später fällig werdende Forderungen aus einem schon vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründeten Dauerschuldverhältnis. Die gegenteilige Auffassung der Berufung findet in dem erwähnten Gesetzeszweck keine Stütze und würde zu einer durch keine sachlichen Gesichtspunkte begründbaren Veränderung in der Rangordnung der zu befriedigenden Masseansprüche führen.

Nach allem musste die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

 

 

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G

Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger R E V I S I ON eingelegt werden.

Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.