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Zur Frage der Geschmacksmusterfähigkeit von Kotflügeln - BGH, Urteil vom 16.10.1986, Az.: I ZR 6/85

Leitsätzliches

Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes sind lediglich selbständige, verkehrsfähige Erzeugnisse, die bestimmt und geeignet sind, auf den Formen- und Farbensinn des Betrachters zu wirken

BUNDESGERICHTSHOF

URTEIL

Aktenzeichen: I ZR 6/85

Entscheidung vom 16. Oktober 1986

 

Sachverhalt

Die Kl. vertreibt Karosserie-Ersatzteile für bekannte Automarken, die nicht von den Automobil-Herstellern oder auf deren Veranlassung gefertigt worden sind. Die Bekl. ist die deutsche Tochtergesellschaft des amerikanischen Automobilunternehmens Ford; sie stellt u. a. das Ford-Modell Escort her. Am 24. 9. 1980 hinterlegte sie beim AG Köln die Fotografien von 36 Karosserieteilen dieses Modells als Geschmacksmuster; darunter befinden sich auch die Fotografien der vorderen Kotflügel (43 MR 6547 und 43 MR 6548).

Die Kl. forderte die Bekl. durch Patentanwaltsschreiben vom 8. 9. 1982 auf, ihr mitzuteilen, daß sie, die Bekl., das Vorhaben der Kl., die Vorderkotflügel für den Ford-Escort als Ersatzteile zu vertreiben, aus den angemeldeten Geschmacksmustern nicht angreifen werde. Die Bekl. gab die verlangte Erklärung nicht ab, sondern vertrat in mehreren Anwaltsschreiben die Auffassung, die hinterlegten Gegenstände seien geschmacksmusterfähig.

Mit der Klage begehrt die Kl. die Feststellung, daß die Bekl. nicht berechtigt sei, ihr, der Kl., den Vertrieb von Vorderkotflügeln für den Ford-Escort aus Geschmacksmusterrecht zu untersagen. Die Kl. hat geltend gemacht, die Kotflügel seien nicht geschmacksmusterfähig. Durch Anmeldung der Karosserieteile als Geschmacksmuster solle lediglich ein Herstellungsmonopol für die Einzelteile des Kraftfahrzeugs begründet werden.

LG und OLG haben dem Feststellungsbegehren der Kl. stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

I. Das BerG hat ausgeführt:
Die negative Feststellungsklage sei zulässig und begründet. Die Bekl. sei nicht berechtigt, der Kl. den Vertrieb von Nachbildungen der vorderen Kotflügel des Ford-Escort aus Geschmacksmusterrecht zu untersagen. Den in Abbildung hinterlegten Kotflügel-Modellen fehle es an der Geschmacksmusterfähigkeit. Die (unlackierten) Kotflügel seien - isoliert betrachtet - nicht dazu bestimmt und nicht geeignet, über das Auge auf den Formen- oder Farbensinn des Betrachters zu wirken. Vielmehr komme ihnen eine ästhetische Wirkung nur im Rahmen des Gesamteindrucks des Ford-Escort und seiner Karosserie zu. Etwas anderes ergebe sich auch nicht, wenn man die Grundsätze heranziehe, die zum Schutz von Teilen eines für ein Gesamterzeugnis angemeldeten Musters entwickelt worden seien. Ein solcher Schutz setze ebenfalls voraus, daß es sich um ein in sich geschlossenes Teil handle, das für sich allein den Erfordernissen der Neuheit und Eigentümlichkeit genüge und darüber hinaus eine gewisse Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form aufweise, die einen von der Gesamtform unabhängigen ästhetischen Eindruck des Teiles ergebe. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben; denn die Kotflügel höben sich von der Gesamtkarosserie nur derart geringfügig ab, daß sie für einen unvoreingenommenen Betrachter in der Linienführung der Gesamtkarosserie aufgingen.

II. Die hiergegen gerichtete Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerG.

Die streitbefangenen Kotflügel sind - wie die übrigen Karosserieteile - Teile der Gesamtkarosserie des Ford-Escort. Ihre Form ist dadurch entstanden, daß die Karosserie aus wirtschaftlichen und technischen Gründen in eine Vielzahl von Einzelteilen zerlegt worden ist. Wie das BerG nicht verkannt hat, können die auf diese Weise entstandenen Teile selbständig Geschmacksmusterschutz genießen, wenn sie für sich betrachtet die rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Schutzes erfüllen. Das BerG hat auch zu Recht berücksichtigt, daß wegen der Zweckbestimmung dieser Teile, nämlich ihres Einbaus in das Gesamterzeugnis, vorab ihre Geschmacksmusterfähigkeit zu prüfen ist; denn Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes sind lediglich selbständige, verkehrsfähige Erzeugnisse, die bestimmt und geeignet sind, auf den Formen- und Farbensinn des Betrachters zu wirken (vgl. BGH in GRUR 1976, 261 f. - Gemäldewand). Das BerG hat jedoch angenommen, daß hierbei eine von der Gesamtform unabhängige ästhetische Wirkung erforderlich sei, und daß die streitigen Kotflügel diese Voraussetzung nicht erfüllten, weil ihre Form in der Linienführung der Gesamtkarosserie aufgehe und somit keine eigenständige ästhetische Wirkung erziele. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand; denn das BerG hat damit den Bereich der Geschmacksmusterfähigkeit zu sehr eingeschränkt.

Durch die Beschränkung der Geschmacksmusterfähigkeit auf selbständige Gegenstände, die auf das ästhetische Empfinden des Betrachters wirken sollen und können, sollen diejenigen Gegenstände aus dem Bereich des Geschmacksmusterschutzes herausgenommen werden, denen wesensgemäß keinerlei ästhetische Funktion zukommen kann. Dagegen soll bei dieser Prüfung der äußeren Form als Voraussetzung der Modellfähigkeit noch keine Wertung einer an sich möglichen ästhetischen Wirkung stattfinden; diese Bewertung ist vielmehr erst bei der späteren Prüfung von Neuheit und Eigentümlichkeit des Gegenstandes vorzunehmen. Für diese Frage der Modellfähigkeit der äußeren Form kommt es daher auch noch nicht darauf an, ob - wie das BerG gemeint hat - der fragliche Gegenstand dazu bestimmt ist, für sich allein auf den Geschmackssinn zu wirken, oder ob er - was ausreichend ist - im Rahmen eines Gesamtprodukts seine ihm eigene ästhetische Wirkung entfalten soll und kann (vgl. BGH, a.a.O. - Gemäldewand).

Diese Geschmacksmusterfähigkeit der äußeren Form der zum Geschmacksmuster niedergelegten Kotflügel läßt sich nach den vom BerG getroffenen Feststellungen nicht in Abrede stellen. Die Form der Kotflügel ist zwar teilweise nicht zum Zweck einer ästhetischen Wirkung, sondern nur aus praktischen Gründen geschaffen worden. Dies gilt insbesondere für diejenigen Außenkanten, die sich fast nahtlos an die angrenzenden Karosserieteile anschließen und somit nicht mehr auf den Betrachter wirken sollen.

Demgegenüber ist aber insbesondere die gesamte Außenfläche dazu bestimmt, auf das ästhetische Empfinden des Betrachters zu wirken; denn wie das BerG festgestellt hat, soll diese Linienführung gemeinsam mit den übrigen Karosserieteilen einen ästhetischen Gesamteindruck ergeben.

Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt, den streitigen Kotflügeln von vornherein die Geschmacksmusterfähigkeit abzusprechen. Vielmehr können sie unter den Schutz des Geschmacksmustergesetzes fallen, sofern ihre Gestaltung die weiteren Voraussetzungen, insbesondere Neuheit und Eigentümlichkeit, erfüllt.

Die Verneinung des Geschmacksmusterschutzes mit der vom BerG gegebenen Begründung hat somit keinen rechtlichen Bestand. Es bedarf vielmehr der erneuten tatrichterlichen Prüfung, wobei davon auszugehen ist, daß die Geschmacksmusterfähigkeit der Kotflügel grundsätzlich in Betracht kommt und nunmehr das Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen zu prüfen ist.