Leitsätzliches
Ein Internet-Anschlussinhaber haftet für die rechtliche Nutzung seines Anschlusses durch weitere Familienmitglieder nicht schon dann, wenn der Anschluss diesen zur Verfügung gestellt wird. Die Störerhaftung kann grundsätzlich nur gegeben sein, insofern der Anschluss-Inhaber die ihm obliegenden Prüfungs- und Überwachungspflichten verletzt hat.LANDGERICHT MANNHEIM
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Aktenzeichen: 7 O 76/06
Urteil vom 04. August 2006
In dem Rechtsstreit
- Klägerin –
gegen
- Beklagter –
wegen Unterlassung und Forderung
hat die 7.Zivilkammer des Landgerichts Mannheim auf die mündliche Verhandlung vom 04.August 2006 unter Mitwirkung von Richter am Landgericht x für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen unerlaubten Anbietens eines Computerspiels zum Download im Internet auf Unterlassung sowie auf Aufwendungs- und Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Computerspiel x. Die Beklagte ist Inhaberin eines Internetanschlusses und bedient sich dabei der Dienste des Serviceproviders. Im Internet gibt es Tauschbörsen, in denen die Benutzer sich im Rahmen eines Peer-toPeer-Netzwerkes gegenseitig über die jeweilige Tauschplattform Daten zur Verfügung stellen. Hierzu sind alle Computer der Nutzer über eine bestimmte Software in einem eigenen Netzwerk miteinander verbunden. Um an dem Netzwerk
teilnehmen zu können, ist es erforderlich, eine entsprechende Software, welche im Internet kostenlos angeboten wird, herunter zu laden und zu installieren, sowie sich selbst zu registrieren und einen Benutzernamen anzugeben. Jeder Nutzer der Internettauschbörse bietet den anderen Nutzern sodann Einblick in einen bestimmten Teil der Festplatte seines Computers. Die Daten werden dann gegenseitig über die Tauschplattform zur Verfügung gestellt. Dabei bietet jeder, der auch nur ein Datenpaket einer Datei von einem anderen Nutzer auf seine eigene Festplatte lädt, dieses Datenpaket bereits wieder anderen Nutzern für den Download durch diese an (Filesharing).
Die Klägerin hat die AG, Schweiz und deren deutsches Tochterunternehmen damit beauftragt, über einen längeren Zeitraum hinweg alle einschlägigen Internettauschbörsen hinsichtlich des Anbietens des Computerspiels x zu überwachen und die Internet-Protokoll-Adresse (im Folgenden: IP) des Anbietenden festzustellen, zu erfassen und nebst Datum und sekundengenauer Zeit zu speichern. Am 18.07.2005 um 10:02 Uhr MESZ bot ein Nutzer mit der IP-Adresse die Datei x als funktionsfähige Version
des hier interessierenden Computerprogramms anderen Anbietern unter Verwendung des Programms x mit dem Usernamen x zum Download an. Nachdem Strafanzeige erstattet worden war, ermittelte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den zu der IPAdresse
gehörigen Internetservice-Provider und den Beklagten als Anschlussinhaber (Anlage K 3). Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass vom Anschluss des Beklagten aus der streitgegenständlichen Upload stattgefundnen hat. Die Klägerin mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 21.02.2006 erfolglos ab (Anlage K 4).
Die Klägerin trägt vor,
dass der Beklagte für das von seinem Anschluss aus erfolgte Weiterverbreiten des urheberrechtlich geschützten Computerspiels verantwortlich sei, und zwar auch dann, wenn über ein von ihm betriebenes WLAN Zugriffe anderer Personen stattgefunden hätten oder eines seiner Kinder den streitgegenständlichen Upload vorgenommen hätte. Der Beklagte unterliege diesbezüglich der Störerhaftung. Die rechtswidrige Handlung sei in seiner Sphäre und in seinem Verantwortungsbereich geschehen. Keinesfalls dürfe er angesichts der breiten Berichterstattung in den Medien darauf vertrauen, dass seitens seiner Kinder keine Urheberrechtsverstöße stattfänden. Er habe vielmehr die Pflicht, sich über die Risiken zu unterrichten und das Tun der Nutzer zu überwachen und gegebenenfalls ein widerrechtliches Tun zu unterbinden. Der Zahlungsanspruch stehe der Klägerin in Höhe von 50,00 Euro als Schadensersatz im Wege der Lizenzanalogie zu.
Weitere 150,00 Euro stünden ihr als Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag, Hilfsweise als Schadensersatz zu.
Die Klägerin beantragt,
1. dem Beklagten bei Verwendung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu untersagen, das Computerspiel x oder Teile desselben im Internet öffentlich zu verbreiten oder auf sonstige Art und Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, öffentlich zu verbreiten und/oder zu verwerten und/oder wiederzugeben sowie öffentlich zu verbreiten und/oder verwerten und/oder wiedergeben zulassen, insbesondere im Rahmen der Teilnahme an so genannten Peer-to-Peer-Neztwerken dieses Computerspiel oder Teile desselben zum Tausch anzubieten, insbesondere wie am 18.07.2005 um 10:02 geschehen.2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.03.2006 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor,
dass er für den streitgegenständlichen Upload nicht verantwortlich sei, da sein volljähriger Sohn x an der Tauschbörse teilgenommen habe. Er selbst habe also keine Urheberrechtsverletzende Handlung vorgenommen. Aber auch für das Tun seines Sohnes brauche er nicht einzustehen. Die Störerhaftung würde zu weit gehen, wenn ohne besondere Anhaltspunkte engste Familienmitglieder überwacht werden müssten, zumal in der Werbung auf die Gefahren der Nutzung von Computer und Internet sowie die Gefahr von Tauschbörsen nicht hingewiesen werde, sondern vielmehr den Nutzern ein problemloser Umgang mit den
neuen Medien suggeriert werde. Die durch die Rechtsprechung gezogenen Grenzen der Störerhaftung seien im vorliegenden Fall zu beachten, so dass ein Unterlassungsanspruch der Klägerin nicht bestehe. Die Parteien haben den Rechtsstreit hinsichtlich des Zahlungsantrags zu 2) übereinstimmend erledigt erklärt. Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie alle sonstigen Aktenteile.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. der Kläger ist hinsichtlich einer von ihm selbst begangenen unerlaubten Handlung gem. § 97 Abs. 1 UrhG nicht passivlegitimiert.
Sofern man den ursprünglichen Sachvortrag der Klägerin, dass der Beklagte selbst Täter gewesen sei, nach der von der Klägerin in der Sache nicht bestrittenen Benennung des Sohnes des Beklagten als Täter nicht ohnehin als prozessual überholt betrachten will, ist die Klägerin jedenfalls hinsichtlich eines täterschaftlichen Handelns des Beklagten beweisfällig geblieben.
Denn der Beklagte hat die täterschaftliche Begehung eines Urheberrechtsverstoßes durch ihn wirksam bestritten. Grundsätzlich trifft die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Merkmale in § 97 Abs. 1 UrhG den Anspruchssteller (von Wolff in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 2.Aufl., § 97 Rn. 21), hier also die Klägerin. Allerdings trifft den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast. Als solche wird die Last einer Gegenpartei bezeichnet, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der darlegungspflichtigen Partei zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast kann insbesondere dann angenommen werden, wenn sich die maßgeblichen Vorgänge im Wahrnehmungsbereich
des Prozessgegners abgespielt haben. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob es diesem zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (allgemein: BGHZ 86, 23, 29; 100, 190, 196; BGH, Urt. v. 24.11.1998, - VI ZR 388/97, NJW 1999, 714,715; Mes, P. GRUR 2000, 934, 939). Die Klägerin kann keine Kenntnis davon haben, wer den Internetanschluss der Beklagten zum ermittelten Zeitpunkt tatsächlich genutzt hat; dieser Umstand liegt allein in der Sphäre des Beklagten. Wie weit bei dieser Sachlage die sekundäre Darlegungslast der Beklagten konkret reicht, braucht nicht entschieden zu werden. Der Beklagte ist
seiner sekundären Darlegungslast jedenfalls nachgekommen. Er hat sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränkt, sondern vielmehr konkret seinen Sohn x als Täter angegeben. Auf dieses Bestreiten der Behauptung einer Täterschaft der Beklagten ist die Klägerin als darlegungs- und beweisbelastete Partei beweisfällig geblieben.
2. Der Beklagte unterliegt auch nicht der Störerhaftung.
a) Wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, kann als Störer für eine Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (vgl. BGHZ 148, 13,17 – ambiente.de; BGH 158, 236, 251 – Internet- Versteigerung). Nach ständiger Rechtsprechung setzt allerdings die Haftung desjenigen, der ohne Täter oder Teilnehmer als Störer haftet, die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Denn anderenfalls würde die Störerhaftung über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die nicht selbst
die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben. Der Umfang der Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch genommenen nach den Umständen eine Prüfung zumutbar ist (BGH, Urt. v. 10.10.1996 – IZR 129/94, GRUR 1997, 313, 315 f – Architektenwettbewerb; Urt.v. 30.06.1994 – I ZR 40/92, GRUR 1994, 841, 842 f; Urt. v. 15.10.1998 – I ZR 120/96, GRUR 1999, 418, 419 f – Möbelklassiker; BGHZ 148, 13, 17 f – ambiente.de; BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung).
b) Der Beklagte trägt willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Urheberrechts bei.
Er betreibt als Inhaber einen Internetanschluss; dieser ist mit seinem Willen und von ihm angemeldet worden. Ohne den Internetanschluss und seine Überlassung an Dritte wäre es auch nicht kausal zu einer Verletzung des geschützten Urheberrechts gekommen. Er ist als Inhaber des Anschlusses sowohl rechtlich als auch tatsächlich in der Lage, dafür zu sorgen, dass dieser Anschluss nicht für Rechtsverletzung in der Lage, dafür zu sorgen, dass dieser Anschluss nicht für Rechtsverletzungen genutzt wird. Soweit der Beklagte vorträgt, dass er dazu mangels Kenntnisse nicht in der Lage sei, muss er sich dann, wenn er selbst einen entsprechenden Internetanschluss betreibt, der Hilfe Dritter bedienen.
Fraglich ist allein die Annahme der Verletzung von Prüfungspflichten. Dabei ist zu beachten, dass die ursprünglich zwischen den Parteien umstrittene Frage einer Nutzung eine W-Lan Neztes durch Dritte vorliegend nicht zu entscheiden ist. Der Beklagte hat im Laufe des Prozesses seinen diesbezüglichen Vortrag aufgegeben. Stattdessen hat er ohne sachlichen Widerspruch der Klägerin seinen volljährigen Sohn als Täter benannt. Folglich ist allein die Frage der Reichweite der Störerhaftung bei der Internetnutzung durch volljährige Familienmitglieder streitgegenständlich. Hierbei hat der Beklagte keinerlei Überwachungs- oder Belehrungsmaßnahmen vorgetragen.
Der Umfang der Prüfungspflicht bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem Beklagten als Störer nach den Umständen eine Überprüfung der Internetnutzung zuzumuten ist. Soweit- wie im Streitfall – ein Anschlussinhaber den Anschluss Familienangehörigen und insbesondere seinen Kindern zur Verfügung stellt, beruht die Eröffnung des Zugangs zum Internet auf dem familiären Verbund. Prüfungs- und Überwachungspflichten sind nur insoweit anzunehmen, als diese im Rahmen der Erziehung
von Kindern in Abhängigkeit von deren Alter auch auf anderen Betätigungsfeldern notwendig ist. Eine dauerhafte Überprüfung des Handelns der eigenen Kinder oder des Ehepartners ist ohne konkreten Anlass nicht zumutbar. Ohne Anlass für die Annahme, dass Familienmitglieder in rechtswidriger Weise Urheberrechte im Rahmen der Nutzung des Internets verletzen, kommt eine ständige Überwachung oder gar eine Sperrung des Anschlusses für diese nicht in Betracht. Ob es allerdings bei Eröffnung des Internetverkehrs für die Kinder einer einweisenden Belehrung bedarf, ist nach dem Alter und dem Grad der Vernunft
der jeweiligen Nutzer im Einzelfall zu entscheiden.
Nach diesen Grundsätzen scheidet im vorliegenden Fall eine Störerhaftung des Beklagten aus. Bei einem volljährigen Kind, das nach allgemeiner Lebenserfahrung im Umgang mit Computer- und Internettechnologie einen Wissensvorsprung vor seinen erwachsenen Eltern hat, kann es sinnvollerweise keiner einweisenden Belehrung über die Nutzung des Internets bedürfen. In diesem bleibt es bei der Beurteilung, dass ein Vater ein konkretes Familienmitglied nicht ohne Anlass der Begehung unerlaubter Handlungen verdächtigen muss und dementsprechend zur Einleitung von Überwachungsmaßnahmen verpflichtet wäre.
3. die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 91 a ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Klageantrags zu 2) übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führte zu einer Auferlegung der Kosten auf die Klägerin, da sie ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit aller Voraussicht nach unterlegen wäre. Mangels Störerhaftung des Beklagten bestand auch kein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag.
Mangels Verschulden bestand kein Schadensersatzanspruch gem. 97 Abs. 1 UrhG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
(Unterschriften)