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Vermittler von Lotto im Internet darf Zugang zur Lottogesellschaft nicht abgeschaltet werden - OLG Koblenz, Beschluss vom 21.01.2009, Az.: 1 W 6/09

Leitsätzliches

Allein das Verbot der Internetvermittlung von Lottospielen, das aus dem Glücksspielstaatsvertrag der Länder folgt, ist keine Rechtfertigung für eine staatliche Lottogesellschaft die digitale Schnittstelle ohne vorherige Kündigung für den Vermittler von Lottospielen zu schließen.

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

BESCHLUSS

Aktenzeichen: 1 W 6/09

Entscheidung vom 21. Januar 2009

 

in dem Rechtsstreit

1.  G… GmbH,
- Antragstellerin zu 1. und Beschwerdeführerin -

2.  T… AG,
- Antragstellerin zu 2. -

Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen:  Rechtsanwälte

gegen

L… GmbH,
- Antragsgegnerin -


Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. ..., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. ... und den Richter am Landgericht ...
am 20. Januar 2009

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin zu 1. wird der Be-schluss des Vorsitzenden der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 23. Dezember 2008 abgeändert:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die der Antragstellerin zu 1. bis zum 5. Januar 2009 zur Verfügung gestellte elektronische Schnittstelle (EGU) zur Weiterleitung von Spielaufträgen von Spielteilnehmern an den bundesweiten Spielveranstaltungen Lotto 6 aus 49, Spiel 77, Super 6 und Glücksspirale wieder zu öffnen und zur Verfügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 990.000 € festgesetzt.

 

Gründe:

I.
Die Antragstellerinnen begehren im einstweiligen Verfügungsverfahren die Offenhaltung  einer elektronischen Schnittstelle zum EDV-System der Antragsgegnerin zur Weiterleitung von Spielaufträgen.

Die Antragstellerin zu 1. übernimmt auf der Grundlage eines mit der Antragsgegnerin geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages – im Folgenden: GV –  vom 11. März 2002 die Aufgaben einer virtuellen Annahmestelle  (Ziff. 1.2. GV); laut Ziff. 3.1. GV vermittelt sie die Teilnahme an von der Antragsgegnerin angebotenen Spiel- und Wettgeschäften, u.a. schwerpunktmäßig Lotto 6 aus 49, Spiel 77, Super 6.

Die Spiele und Wetten werden zunächst über die Internetseiten t….com der Antragstellerin zu 2. akquiriert  und dann durch die virtuelle Annahmestelle der Antragstellerin zu 1.  über eine von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellte Schnittstelle an diese übermittelt.

Das Landesgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag von Rheinland-Pfalz vom 3. Dezember 2007 (GVBl. 2007, S. 240) verbietet in Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages der Bundesländer nach Ablauf einer Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2008 das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet.

Die Antragstellerin zu 2. hat ihr Geschäftsfeld zum Jahreswechsel der T… Services Ltd. Überlassen.

Die Antragstellerinnen – bzw. die Geschäftsnachfolgerin der Antragstellerin zu 2 . – betreiben das Vermittlungsgeschäft im Internet weiter; gegen sie gerichtete ordnungsbehördliche Verfügungen auf Einstellung des Betriebes sind bislang nicht ergangen.

Die Antragsgegnerin hat zum 05. Januar 2009 die elektronische Schnittstelle abgeschaltet.

Das Landgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2008 den Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Mit ihrer Beschwerde will die Antragstellerin zu 1. die Offenhaltung der elektronischen Schnittstelle erreichen, im wesentlichen mit der Begründung, das generelle Verbot der Internetvermittlung verstoße gegen EU-Recht, der Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Antragsgegnerin sei daher nach wie vor wirksam.

Ohne die Bereitstellung der Schnittstelle sei sie in ihrer Existenz bedroht, sie befürchte nicht nur einen dauerhaften Verlust ihrer Kunden, sondern auch deren Schadensersatzansprüche, soweit Tipps u.a. von Dauerspielscheinen nicht weitergeleitet werden könnten.

Der Antragsgegnerin wurde rechtliches Gehör gewährt.

II.

1. Die bei dem Oberlandesgericht eingelegte Beschwerde gegen den, den Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Koblenz (§ 937 Abs. 2 ZPO), ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

Der Durchführung des  in § 572 Abs. 1 ZPO geregelten Abhilfeverfahrens bei dem Landgericht bedurfte es nicht.

Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein aus Gründen der Prozessökonomie vorgesehenes Verfahren, welches inhaltlich einer Gegenvorstellung gleichkommt. Es ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn die Beschwerde unmittelbar bei dem Beschwerdegericht eingelegt worden und besonders eilbedürftig ist (zur Entbehrlichkeit eines Abhilfeverfahrens vgl. auch Zöller-Heßler. ZPO WTRP, 27. Aufl., § 572 Rdnr. 4).

Abgesehen davon, dass durch die hier gewählte Entscheidung des Landgerichts (Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 937 Abs. 2 ZPO) Gelegenheit gegeben werden soll, zügig das Rechtsmittelgericht anzurufen (Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 937 Rdnr. 2a), gebietet in besonders eilbedürftigen Fällen das Gebot effektiven Rechtsschutzes  eine Beschleunigung des Verfahrens. Dem widerspräche es, in diesen Fällen eine Zeitverzögerung dadurch zu verursachen, in dem eine bei dem Beschwerdegericht erhobene Beschwerde zunächst dem Landgericht zur Entscheidung über die Abhilfe zugeleitet wird, um sie  dann erneut – im Fall der Nichtabhilfe –  dem Beschwerdegericht vorzulegen.

Die Antragstellerin hat ihre Beschwerde unmittelbar dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zugeleitet.

Von einer besonderen Eilbedürftigkeit ist hier auszugehen, da die Antragstellerin zu 1. zum Betrieb ihres laufenden Geschäfts auf die Bereitstellung der - abgeschalteten - Schnittstelle dringend angewiesen ist.

2.  Der Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 935 ZPO) ist zulässig. Die Antragstellerin zu 1. kann sich sowohl auf einen Verfügungsanspruch als auch auf einen Verfügungsgrund berufen.

2.1. Der  Antragstellerin zu 1. steht aufgrund des mit der Antragsgegnerin geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags die Offenhaltung/Bereitstellung der elektronischen Schnittstelle nach wie vor zu.

a) Der Geschäftsbesorgungsvertrag ist nicht gekündigt worden.

Der Antragstellerin zu 1. ist bislang keine Kündigungserklärung zugegangen.

Die Antragsgegnerin hat die Schnittstelle zwar am 5. Januar 2009 geschlossen; sie erbringt mithin eine von ihr geschuldete Leistung seit diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ein solches Verhalten, welches verschiedene Gründe haben kann (z.B. technische Störung), führt zu einer Vertragsstörung, es stellt jedoch  keine  Kündigungserklärung dar, die als rechtsgestaltende Willenserklärung hinreichend deutlich erklärt werden muss.

b) Der Antragstellerin zu 1. ist es auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf den Geschäftsbesorgungsvertrag zu berufen, weil der Antragsgegnerin ein Festhalten am Vertrag wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht mehr zugemutet werden kann und sie deshalb das Dauerschuldverhältnis mit der Antragstellerin zu 1. gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB ohne weiteres kündigen könnte.

aa) Die Antragsgegnerin selbst hat von einer Kündigung abgesehen, obwohl der Glücksspielstaatsvertrag seit dem 01. Januar 2008 in Kraft getreten ist und ihr mithin ausreichend Zeit zur Verfügung stand, eine Kündigung auszusprechen, wenn sie die Fortsetzung des Geschäftsbesorgungsvertrages über den Ablauf der Übergangs-frist für die Internetvermittlung im Glücksspielstaatsvertrag (Ende: 31.12.2008; § 25 Abs. 6 GlüStV) hinaus als unzumutbar angesehen hätte.

Dieses Verhalten spricht dafür, dass der Antragsgegnerin eigentlich an einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses gelegen ist.

bb) Allein aus der Bestimmung des § 4 Abs. 4 GlüStV könnte die Antragsgegnerin keine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages herleiten. Zwar verbietet § 4 Abs. 4 GlüStV das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet, so dass die Geschäftsgrundlage des Vertrages – Vermitteln von Glücksspielen im Internet – entfallen zu sein scheint.

Jedoch bestehen erhebliche Bedenken, ob diese innerstaatliche Regelung nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG-Vertrag verstößt.

Die Antragstellerin zu 1. hat hierzu u.a. auf eine diesbezügliche Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Aufforderungsschreiben Vertragsverletzung-Nr. 2007/4866 – Anlage AST 12) verwiesen. Darin meldet die Kommission erhebliche Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der im GlüStV u.a. in § 4 Abs. 4 getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Spielsucht an.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 22. August 2008 (VG 35 A 15.08) auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit – Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit –  des generellen Internetvermittlungsverbots bei Lotterien mit nicht mehr als zwei Gewinnentscheidungen pro Woche  und Klassenlotterien erkannt.

Den von der Kommission und dem Verwaltungsgericht Berlin angeführten und durchaus überzeugenden Erwägungen gegen die Konformität des Internetvermittlungsverbots mit EU-Recht – von deren Darstellung im Einzelnen hier abgesehen wird, da sie den Beteiligten bekannt sind –  vermag sich der Senat nicht zu verschließen.

Auch wenn der Senat von einer endgültigen Klärung der angesprochenen Rechtsfrage absieht, lässt sich aufgrund der erheblichen Bedenken gegen die Übereinstimmung der Regelung des § 4 Abs. 4 GlüStV mit Art. 49 EG-Vertrag keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag und damit ein Kündigungsrecht der Antragsgegnerin wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit der notwendigen Überzeugungssicherheit feststellen.

cc)  Die Unzumutbarkeit am Festhalten des Vertrages  wegen Begehens einer Ordnungswidrigkeit der Antragsgegnerin aufgrund der Durchführung desselben, kann ebenso wenig festgestellt werden.

Die Annahme von im Internet vermittelten Spielen stellt, soweit ersichtlich, keine Ordnungswidrigkeit zu Lasten der Antragsgegnerin dar (vgl. § 13 LGlüG).

Im Übrigen wäre zweifelhaft, ob eine solche bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Vermittlungsverbots überhaupt möglich wäre.

dd) Ebenso wenig wird der Antragsgegnerin ein Wettbewerbsverstoß durch die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag entgegengehalten werden können, wenn sie diesen aufgrund erheblicher Zweifel an der Übereinstimmung des innerstaatlichen Rechts mit der Dienstleistungsfreiheit des EG-Vertrages weiterhin erfüllt.

ee) Schließlich könnte die Antragsgegnerin zur Begründung der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 928/08 – heranziehen.

Zwar verstößt danach § 4 Abs. 4 GlüStV nicht gegen die Verfassung. Die Entscheidung räumt jedoch Bedenken bezüglich eines (möglichen) Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit nicht aus.

Die Antragstellerin kann daher derzeit  auf der Durchführung des Geschäftsbesorgungsvertrages bestehen.

2.2. Die Antragstellerin zu 1. hat auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.

Ohne das Offenhalten der Schnittstelle hat sie schwerwiegende Nachteile für ihren Geschäftsbetrieb (der ausschließlich in der virtuellen Annahme und Vermittlung besteht) zu befürchten, bis hin zu einem Verlust ihres Betriebes. Sie hat nicht nur erhebliche Umsatzeinbußen wegen nicht möglicher Vermittlung von Spielen an die Antragsgegnerin  zu besorgen, sondern auch ggfs. Schadensersatzansprüche von Kunden (z. B. aus dem Ausland, aus Berlin oder Kunden mit Dauerspielscheinen).

Zwar steht ihr aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg in Hamburg  eine Schnittstelle zur Verfügung, die Antragstellerin hat aber überzeugend dargelegt, dass ihr System seine Zuverlässigkeit gerade auf die Redundanz mehrer Schnittstellen gründet.

2.3. Die erstrebte Verfügung zielt nicht auf die Sicherung des Hauptsacheanspruchs, der hier in der Feststellung der Wirksamkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages besteht.

Dies wird vorliegend nicht festgestellt; eine endgültige Befriedigung des Anspruchs der Antragstellerin zu 1. erfolgt daher nicht.

3. Nach § 938 ZPO bestimmt das Gericht nach Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind; es ist somit auch nicht an den Wortlaut des Antrags gebunden, darf jedoch über den Antrag nicht hinausgehen.

Die Antragstellerin zu 1. erstrebt, „ ... der Antragsgegnerin zu untersagen, die ... Schnittstelle ... abzuschalten.“ Bei formaler Betrachtung könnte dieser Antrag, nachdem die Schnittstelle nunmehr abgeschaltet ist, keinen Erfolg mehr haben. An dem formalen Wortlaut ist hier jedoch nicht festzuhalten, vielmehr ist das Begehren unter Würdigung des Beschwerdevorbringens dahingehend auszulegen, dass es der Antragstellerin zu 1.  nach Sperrung der Schnittstelle um die Wiederbereitstellung derselben geht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

(Unterschriften)