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Beschlagnahme gehosteter Dateien (LG Hamburg, Beschl. v. 2. September 2013; 629 Qs 34/13)

Leitsätzliches

1. Eine spätere Einziehung von Daten eines Servers und damit auch eine Löschungsanordnung bezüglich der sich darauf befindenden Daten im Rahmen einer Minusmaßnahme gemäß dem Rechtsgedanken des § 74b Abs. 2 StGB ist nur zulässig, wenn der Server entweder dem Beschuldigten gehört oder zusteht oder er seiner Art und den Umständen nach die Allgemeinheit gefährdet oder die Gefahr besteht, dass er der Begehung rechtswidriger Taten dienen wird.
2. Daten sind, wenn sie auf der Festplatte eines Servers gespeichert sind, magnetische Polungszustände, die nicht greif- oder sichtbar sind und ohne einen Datenträger nicht existieren.
3. Die Einziehung kann nur angeordnet werden, wenn die Stücke sich im Besitz des Täters, Teilnehmers oder eines anderen befinden, für den der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat, oder von diesen Personen zur Verbreitung bestimmt sind.

LANDGERICHT Hamburg

Beschluss

Entscheidung vom 02. September 2013

Az.: 629 Qs 34/12

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 27. Juni 2013, Az. 166 Gs 377/13, betreffend die Ablehnung der Anordnung einer Löschung von Daten auf der Homepage des Beschuldigten, wird auf Kosten der Staatskasse verworfen.

Gründe

I. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg.

Sie führt seit dem Frühjahr 2013 ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. Gerhard S... Der Beschuldigte ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Hamburg. Er vertritt u.a. den anderweitig verfolgten Gustl Ferdinand M... in verschiedenen Verfahren, die ihrerseits bundesweit Aufsehen erregen und die Medien und Öffentlichkeit beschäftigen. Anlass der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Dr. S... ist der Umstand gewesen, dass der Beschuldigte diverse Dokumente betreffend die Verfahren um seinen Mandanten Gustl M... auf der Homepage seiner Kanzlei ins Internet stellte, und zwar jeweils im vollen Wortlaut und ohne Namen zu schwärzen. Die Staatsanwaltschaft hält dieses Vorgehen für strafbar.

Im Einzelnen waren bzw. sind folgende Dokumente über die Internetseite www.S....net abrufbar:

1. Seit dem 27. Februar 2013 ist der Scan eines Einstellungsbescheids der Staatsanwaltschaft Augsburg (Geschäftsnummer 101 Js 100614/13) vom 26. Februar 2013 abrufbar. Darin wird mitgeteilt, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 152 Abs. 2 StPO gegen den Sachverständigen Dr. L... und den Amtsrichter Armin E... abgesehen werde, gegen welche der Beschuldigte namens seines Mandanten M... Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung erstattet hatte. Der Bescheid ist mit einer Beschwerdebelehrung versehen.

2. Seit dem 26. März 2013 ist abrufbar der eingescannte Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft Regensburg, gerichtet an das Landgericht Regensburg, vom 18. März 2013 (Geschäftsnummer 151 Js 22423/12 - WA) betreffend das gegen Gustl M... rechtskräftig abgeschlossene Verfahren, in welchem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Das Dokument umfasst 152 Seiten und enthält eine detaillierte Beschreibung des damaligen Verfahrensablaufs, einen vollständigen Abdruck des damals ergangenen Urteils sowie eine Darstellung der aus Sicht der Staatsanwaltschaft bestehenden Wiederaufnahmegründe .

3. Seit dem 12. April 2013 ist abrufbar eine gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen Dr. L... betreffend Herrn M... vom 4. März 2013, angefertigt im Rahmen des Strafvollstreckungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth (Geschäftsnummer 802 VRs 4743/03 [StVK 551/09]) nebst Antrag der Staatsanwaltschaft an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Bayreuth.

4. Seit dem 29. April 2013 ist abrufbar eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen Dr. L... vom 16. April 2013 in derselben Strafvollstreckungssache .

5. Seit dem 29. April 2013 ist abrufbar ein Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth vom 28. April 2013 in der vorgenannten Strafvollstreckungssache, mit welchem u.a. angeordnet wird, dass eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme hinsichtlich der Begutachtung des Verurteilten M... einzuholen ist.

Die zum Abruf im Internet bereitgestellten Inhalte befinden sich auf Servern der STRATO AG in Berlin. Die STRATO AG ist ein vom Beschuldigten unabhängiges Unternehmen.

Mit Zuschrift vom 13. Mai 2013 hat die Staatsanwaltschaft Hamburg beim Amtsgericht Hamburg beantragt, unter dem Vorbehalt der Beschlagnahme des Datenspeichers, des Servers und der Speichermedien, auf denen sich die Dokumente befinden, die Löschung der auf der Internetseite www.S....net des Beschuldigten befindlichen - im Einzelnen genauer bezeichneten - o.g. fünf Links und des zugehörigen Inhalts im Internet nach §§ 111 b Abs. 1, 111 c Abs. 1, 111 m StPO, §§ 74 Abs. 1, 74a Abs. 2 Nr. 1 StGB bei dem zuständigen Provider, der STRATO AG, anzuordnen, mit der Maßgabe, dass die Vollstreckung durch eigenständige Löschung abgewendet werden kann.

Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 27. Juni 2013 nach Stellungnahme des Beschuldigten zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft mit Zuschrift vom 31. Juli 2013, beim Amtsgericht am 7. August 2013 eingegangen, die vorliegende Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht vorgelegt. In der Zwischenzeit - mit Beschluss vom 6. August 2013 - hatte das Oberlandesgericht Nürnberg die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Gustl M... angeordnet.

Mittlerweile hat der Beschuldigte diverse weitere Dokumente betreffend die Verfahren um seinen Mandanten Gustl M... auf seine Homepage gestellt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat insoweit ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Hatte die Staatsanwaltschaft ursprünglich beantragt, unter Vorbehalt der Beschlagnahme des Datenspeichers des Servers und der Speichermedien, auf denen sich die Dokumente befinden, die Löschung von Links und des zugehörigen Inhalts im Internet bei dem zuständigen Provider, der STRATO AG in Berlin, anzuordnen, beantragt sie nunmehr, die Beschlagnahme der Daten der auf der Internet-Seite www.S....net befindlichen Links und des zugehörigen Inhalts im Internet bei dem zuständigen Provider anzuordnen mit der Maßgabe, dass die Vollstreckung durch eigenständige Löschung abgewendet werden kann.

II. Die zulässige (§ 304 StPO) Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Weder die streitgegenständlichen Daten noch der Server der STRATO AG sind der Sicherstellung im Rahmen der StPO zugänglich.

Eine Sicherstellung zu Beweiszwecken gem. § 94 StPO - in anderen Konstellationen bei Daten denkbar - steht hier nicht in Rede, weil der Sachverhalt bereits bewiesen ist. Sämtliche von dem Beschuldigten im Internet bereitgestellten Daten sind ausgedruckt bei den Akten; im Übrigen bestreitet der Beschuldigte sein Vorgehen nicht, er hält es vielmehr für rechtmäßig.

Deshalb geht es vorliegend - wie auch von der Staatsanwaltschaft beantragt - nur um eine Sicherstellung der Daten bzw. des Servers als Einziehungsgegenstand gem. den §§ 111 b ff. StPO, 74 ff. StGB - bzw. darauf basierend um eine an § 74b Abs. 2 StGB orientierte Löschungsanordnung. Eine solche Einziehung ist aber unzulässig. Weder gem. § 74 StGB (dazu unter 1.), noch gem. § 74d StGB (dazu unter 2.) können hier der Server oder die Daten direkt tauglicher Einziehungsgegenstand sein - unbeschadet der Frage, ob das Vorgehen des Beschuldigten überhaupt strafbar ist und somit einen Anfangsverdacht begründen kann (dazu unter 3.) Im Einzelnen:

1. Die Voraussetzungen einer späteren Einziehung von Server (dazu unter a) oder Daten (dazu unter b) gem. § 74 StGB liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift können Gegenstände, die zur Begehung einer Straftat gebraucht worden sind, eingezogen werden.

a) Als ein solcher Gegenstand kommt zunächst der Server der STRATO AG in Berlin in Betracht. Denn dieser wird für die Verbreitung der Dokumente im Internet "gebraucht". Nach den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift - normiert in § 74 Abs. 2 StGB - ist aber die Einziehung des Servers (und damit eine Löschungsanordnung betreffend die darauf befindlichen Daten als Minusmaßnahme gem. dem Rechtsgedanken des § 74b Abs. 2 StGB) nur zulässig, wenn er entweder dem Beschuldigten gehört oder zusteht oder der Server seiner Art und den Umständen nach die Allgemeinheit gefährdet oder die Gefahr besteht, dass er der Begehung rechtswidriger Taten dienen wird.

Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt. Der vom Beschuldigten genutzte Speicherplatz auf den Servern der STRATO AG gehört nicht dem Beschuldigten. "Gehören" meint Eigentum im Sinne des Bürgerlichen Rechts (LK-Schmidt, 12. Aufl. 2007, § 74 Rn. 23). Dass der Beschuldigte kraft seines vermutlich bestehenden Vertrags mit der STRATO AG deren Server für die Veröffentlichung seiner Homepage nutzen darf, führt zu keiner Änderung der dinglichen Rechtslage nach §§ 929 ff. BGB. Verträge, durch die der Anbieter auf seinem Server dem Kunden Speicherplatz zur Verfügung stellt (sog. "Web-Hosting"-Vertrag), weisen dienst-, rniet- und werkvertragliche Aspekte auf (BGH NJW 2010, 1449). Eine Übertragung des Eigentums ist typischerweise weder geschuldet noch in den Verträgen geregelt. Der Speicherplatz steht dem Beschuldigten auch nicht im Sinne des § 74 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alt. StGB zu. Denn "zustehen" ist definiert als die quasi-dingliche Inhaberschaft von Rechten; bloße schuldrechtliche Ansprüche auf den Gegenstand bleiben außer Betracht (BGH MDR 1969, 722; LK-Schmidt a.a.O. Rn. 44; Schönke/Schröder-Eser, 28. Aufl. 2010, § 74 Rn. 22).

Auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Allgemeingefährlichkeit (Alt. 1) scheidet ohne weiteres aus. Die begründete Besorgnis, dass der Server auch nach einer gedachten strafrechtlichen Verurteilung des Beschuldigten der Begehung rechtswidriger Taten dienen wird (so zu Alt. 2 LK-Schmidt a.a.O., Rn. 56), besteht ebenfalls nicht: Weder diente der Server in der Vergangenheit wiederholt der Begehung rechtswidriger Taten, noch ist ein hartnäckiges Verharren des Beschuldigten im Gesetzesungehorsam zu erwarten. Dies wäre jedoch für die Annahme, der Beschuldigte werde ohne die Einziehung bei jeder sich bietenden Gelegenheit in gleicher Weise wieder straffällig werden, erforderlich (vgl. OLG Koblenz VRS 49 [1975] 134, 136).

b) Die Einziehung der Daten über § 74 StGB ist ebenfalls nicht möglich. Daten sind keine Gegenstände im Sinne dieser Vorschrift, und sie sind auch keine Gegenstände im Sinne des § 111 b Abs. 1 S. 1 StPO. Beim Zugriffsobjekt nach den §§ 111 b Abs. 1 S. 1 StPO und 74 StGB handelt es sich um Sachen, Forderungen, Immaterialgüterrechte und sonstige Vermögensrechte (KK-Nack, 6. Aufl. 2008, § 111 b Rn. 3; SK-Rogall, 4. Aufl. 2010, § 111 b Rn. 8). Daten fallen in keine dieser Kategorien. Daten sind, wenn sie auf der Festplatte eines Servers gespeichert sind, magnetische Polungszustände, die nicht greif- oder sichtbar sind und ohne einen Datenträger nicht existieren. Soweit in Rechtsprechung (BVerfG NJW 2005, 1917, 1920) und Literatur (etwa Park, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme, 2. Aufl. 2009, Rn. 771) davon die Rede ist, dass "Daten" beschlagnahmt werden können, geht es durchgehend um die Beschlagnahme zu Beweissicherungszwecken gem. §§ 94 ff. StPO. So stellt das BVerfG (a.a.O. S. 1919 a.E.) auf "die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten als Beweisgegenstände im Strafverfahren" [Hervorhebung durch die Kammer] ab. In Fällen der Sicherstellung zur Beweissicherung besteht anerkanntermaßen ein praktisches Bedürfnis, Daten zu "beschlagnahmen", um den Inhalt von Datenspeichern bei Beschuldigten kopieren und auswerten zu können (vgl. Kemper NStZ 2005, 538, 540). Dieses Bedürfnis besteht im Zusammenhang mit den §§ 111 b ff. StPO, 74 ff. StGB, in denen es (auch) um spätere Strafe und Vermögensabschöpfung geht, nicht - jedenfalls nicht, wenn die Daten keinen eigenständigen Wert verkörpern.

Nicht zuletzt hielte es die Kammer unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten - Rechtsgedanke des § 74b Abs. 1 StGB - auch für ausgeschlossen, bei einem Rechtsanwalt während eines laufenden Verfahrens (Gustl M...) Daten zu konfiszieren, die für die Mandatsvertretung notwendig sind. Genau dies würde aber passieren, wenn man eine vorläufige Sicherstellung der Daten über die §§ 111 b ff. StPO, 74 ff. StGB zuließe. Einziehungsgegenstand wären dann denklogisch nicht nur die konkreten Daten, die die Links auf der Homepage des Beschuldigten ausmachen, also diejenigen auf dem Server der "STRATO AG", sondern auch anderenorts beim Beschuldigten gespeicherte Scans der fünf Dokumente: In dem Moment, in dem man die Daten an sich als inkriminiert und damit als Einziehungsgegenstand betrachtet, müsste man nämlich sämtliche beim Beschuldigten existenten Dateien mit Scans der fünf Dokumente im Visier haben. So würde man bei Druckwerken, etwa mit kinderpornographischem Material, schließlich auch vorgehen; man würde selbstverständlich alle Exemplare des Druckwerks einziehen. Der Beschuldigte dürfte die Daten, also Scans, dann auch nicht mehr auf seinem eigenen Laptop oder einem privaten USB-Stick speichern. Diese Auswüchse hielte die Kammer von § 74 StGB nicht für gedeckt.

2. Die Voraussetzungen für eine Einziehung gem. § 74d StGB liegen ebenfalls nicht vor. Die Sicherstellung durch Beschlagnahme der Daten selbst kommt auch im Rahmen dieser Vorschrift nicht in Betracht. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. In Betracht kommt allenfalls eine Beschlagnahme der Datenträger, denn auf die zum Abruf über das Internet bereitgehaltenen Inhalte dürfte die für Schriften geltende Sondervorschrift (dazu z.B. Schönke/Schröder-Eser, StGB, 28. Aufl. 2010, § 74d Rn. 1 f.; LK-Schmidt, StGB, 12. Aufl. 2007, § 74d Rn. 1) des § 74d StGB grundsätzlich anwendbar sein. Die Vorschrift verweist auf § 11 Abs. 3 StGB. Danach stehen den Schriften Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften gleich, die auf diesen Absatz verweisen. Bei Servern handelt es sich um Datenspeicher im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB. So sind digitalisierte Fotos, die ins Internet gestellt werden, Datenspeicher - genauer: auf einem Speichermedium gespeicherte Daten - gemäß § 11 Abs. 3 StGB (BGH, Urt. v. 27. Juni 2001 - 1 StR 66/01; zit. nach juris). Nichts anderes kann für die im vorliegenden Fall über das Internet abrufbaren digitalisierten Texte gelten. Die in § 74d StGB formulierten übrigen Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, und zwar weder diejenigen nach Abs. 1 (dazu unter a), noch diejenigen nach Abs. 3 (dazu unter b).

a) Die Voraussetzungen des § 74d Abs. 1 S. 1 StGB liegen nicht vor.

Es handelt sich bei den Scans nicht um Schriften bzw. diesen gem. § 11 Abs. 3 StGB gleichgestellte Objekte, "die einen solchen Inhalt haben, dass jede vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde". Mit dieser in § 74d Abs. 1 StGB statuierten Voraussetzung werden alle Fälle ausgenommen, in denen das Verbreiten der Schrift nicht mit Rücksicht auf ihren Inhalt, sondern mit Rücksicht auf andere Tatsachen, z.B. auf ihre äußere Gestalt oder auf Zeit, Ort oder die besondere Art der Verbreitung, unter Strafe gestellt ist (LK-Schmidt, 12. Aufl. 2007, § 74d Rn. 6; RGSt 66, 145). Das ist hier der Fal!. Denn die Strafbarkeit nach § 353d Nr. 3 StGB setzt voraus, dass die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens öffentlich mitgeteilt werden, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Damit ist die Mitteilung nicht schlechthin verboten, sondern nur unter zusätzlichen Voraussetzungen, die sich ihrerseits nicht aus dem Inhalt der jeweiligen Schrift selbst ergeben.

b) Auch die Voraussetzungen des § 74d Abs. 3 StGB sind nicht erfüllt.

Zwar sind danach Schriften und gleichgestellte Objekte, die einen solchen Inhalt haben, dass die vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts nur bei Hinzutreten weiterer Tatumstände den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde, einzuziehen. Grundsätzlich kommt die Anwendung von § 74d Abs. 3 S. 1 StGB in Fällen des § 353d Nr. 3 StGB also in Betracht. Die Einziehung scheitert vorliegend aber daran, dass die weiteren Voraussetzungen des § 74d Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB nicht gegeben sind. Denn danach kann die Einziehung nur angeordnet werden, wenn die Stücke sich im Besitz des Täters, Teilnehmers oder eines anderen befinden, für den der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat, oder von diesen Personen zur Verbreitung bestimmt sind.

Das ist nicht der Fall. Die Stücke - hier, weil Daten in Rede stehen, die Festplatten, auf denen die Dateien gespeichert sind - befinden sich im Besitz der STRATO AG. Diese ist vorliegend weder Täter noch Teilnehmer. Der allein als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommende Beschuldigte selbst hat keinen, auch keinen mittelbaren, Besitz an den Datenträgern.

Dritte sind nur dann von der Vorschrift erfasst, wenn der Täter oder Teilnehmer für sie gehandelt hat, oder wenn sie den Tatbeteiligten zur Verbreitung bestimmt haben (MüKo-Joecks, 2. Aufl. 2012, § 74d Rn. 22). Das ist vorliegend auch nicht der Fal!. Zwar mag die STRATO AG für den Beschuldigten gehandelt haben. Der umgekehrte Fall, dass der Beschuldigte für die STRATO AG gehandelt hat, und der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 74d Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB wäre, ist jedoch ersichtlich nicht gegeben.

3. Die Kammer muss nach allem nicht entscheiden, ob überhaupt eine vorsätzliche Straftat gem. § 353d Nr. 3 StGB und mithin ein Tatverdacht im Raum stehen. Für schwierig und diskussionswürdig hält diese Kammer die Frage, solange es nur um die fünf o.g. Dokumente geht, allein im Zusammenhang mit dem Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft vom 18. März 2013 (dazu unter c). Bei dem "Einstellungsbescheid" (dazu unter a) und den Dokumenten aus dem Strafvollstreckungsverfahren (dazu unter b) dürften die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit gem. § 353d Nr. 3 StGB jedenfalls nicht vorliegen.

§ 353d Nr. 3 StGB bestraft denjenigen, der "die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens ... ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist".

Bei den vom Beschuldigten veröffentlichten Texten handelt es sich weitgehend um amtliche Schriftstücke, und diese wurden auch öffentlich - also für einen unbestimmbaren Personenkreis - ganz und im Wortlaut mitgeteilt.

a) Soweit der Bescheid der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 26. Februar 2013 in Rede steht, ist jedoch die sachliche Begrenzung der Norm einschlägig, nach der es sich um Schriftstücke aus einem Strafverfahren handeln muss. An einem solchen "Strafverfahren" im Sinne des § 353d Nr. 3 StGB mangelt es. Die Staatsanwaltschaft teilt dem Beschuldigten in dem Bescheid gerade mit, dass kein Strafverfahren eingeleitet wurde. An diesem Wortlaut muss sich die Staatsanwaltschaft festhalten lassen. Solange nur sog. Vorermittlungen, die noch kein Einschreiten der Staatsanwaltschaft im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO (LK-Beulke, 26. Aufl. 2007 § 152 Rn. 33 f.) bedeuten, stattgefunden haben, kann kein Strafverfahren im Sinne des § 353d Nr. 3 StGB vorliegen. Ob die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang ein AR- oder ein Js-Registerzeichen vergeben hat, ist insoweit nicht entscheidend, weil dies regelmäßig dem Zufall überlassen ist. Ebenso wenig kann die Rechtsmittelbelehrung, die den in § 171 S. 2 StPO vorgeschriebenen Inhalt hat, dazu führen, dass entgegen dem zuvor eindeutig geäußerten Willen, kein Strafverfahren einzuleiten, doch ein Strafverfahren vorliegt.

b) Bei den Schriftstücken aus dem Strafvollstreckungsverfahren - zwei Gutachten und einem Beschluss der Strafvollstreckungskammer - ist die zeitliche Beschränkung des Verbots nach § 353d Nr. 3 StGB einschlägig. Denn ein Strafverfahren wird nach übereinstimmender Definition in der Literatur (LK-Vormbaum, 12. Aufl. 2009, § 353d Rn. 41; Schönke/Schröder-Perron, 28. Aufl. 2010, § 353d Rn. 42; NK-Kuhlen 4. Aufl. 2013, § 353d Rn. 30) wegen des Verdachts einer Straftat betrieben, und nicht wegen der Frage der Strafvollstreckung aus einer bereits erfolgten Verurteilung. Mit der rechtskräftigen Verurteilung ist das Strafverfahren abgeschlossen. Deshalb unterfallen das Strafvollstreckungsverfahren und auch das ebenfalls im Siebten Buch der StPO geregelte Kostenfestsetzungsverfahren (zu letzterem LK-Vormbaum, 12. Aufl. 2009, § 353d Rn. 41) nicht § 353d Nr. 3 StGB. Nur dieses Ergebnis ist im Übrigen mit dem Schutzzweck des § 353d Nr. 3 StGB zu vereinbaren, die Unbefangenheit von "gerichtsfernen" Verfahrensbeteiligten, namentlich der Laienrichter und Zeugen, zu wahren (dazu BT-Drs. 7/550, S. 283 f.). Denn diese sind im Vollstreckungsverfahren nicht beteiligt. Soweit § 353d StGB auch den Schutz des Betroffenen bezweckt (dazu BT-Drs. 7/1261, S. 23), weist der vorliegende Fall die Besonderheit auf, dass der Betroffene Gustl M... - dies unterstellt die Kammer im Hinblick, auch im Hinblick auf eine sonst mögliche Strafbarkeit des Beschuldigten gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB - mit der Veröffentlichung einverstanden ist. Ob das bereits den objektiven Tatbestand entfallen lässt oder eine rechtfertigende Einwilligung darstellt (vgl. dazu LK-Vormbaum, Rn. 38 f.), kann dahinstehen.

c) Das Bereithalten des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft Regensburg zum Abruf im Internet könnte hingegen strafbar sein. Denn jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfängt angesichts der vom OLG Nürnberg angeordneten Wiederaufnahme des Verfahrens der Einwand nicht mehr, dass vor Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens durch eine Wiederaufnahmeanordnung (§ 370 Abs. 2 StPO) ein Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen, mithin (noch) kein neues in Gang gesetzt sei. Insoweit steht auch die Frage im Raum, auf welchen Zeitpunkt sich die Strafbarkeit nach § 353d StGB bezieht: Auf den Zeitpunkt der erstmaligen Verbreitung, oder auf den der letztmaligen? Ist § 353d StGB Handlungs-, Zustands-, Unterlassens-, Dauerdelikt? Der historische Gesetzgeber hatte die vorliegende Fallgestaltung mit Sicherheit nicht im Blick, und auch wenn das BVerfG die Norm im Jahr 1985 als verfassungsgemäß eingestuft hat (BVerfG NJW 1986, 1239 ff.), dürfte es angesichts der neuen technischen Möglichkeiten der "öffentlichen Mitteilung" von Gerichtsdokumenten über das Internet um die Bestimmtheit der Vorschrift schlechter denn je stehen.

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Juni 2013 veranlasst die Kammer lediglich zu der Anmerkung, dass der Begriff des "Strafverfahrens" in § 353d Nr. 3 StGB nach hiesigem Verständnis weiter zu verstehen ist als die "Verhandlung vor Gericht". Dies entspricht, soweit ersichtlich, auch der gesamten Kommentarliteratur (vgl. etwa LK-Vormbaum, Rn. 41, 51; Schönke/Schröder-Perron, Rn. 42, 53; NK-Kuhlen, Rn. 30 mit Fn. 97). Bereits der historische Gesetzgeber wollte die zeitliche Dauer des Mitteilungsverbots, welche bis zur Einführung des § 353d StGB durch die Reichspressegesetze geregelt wurde, unverändert belassen (vgl. BT-Drs. 7/550 S. 284). Die damalige Rechtsprechung vertrat eine weite Auslegung des Begriffs "Strafprozeß". Es reichte bereits die Anhängigkeit eines Verfahrens bei einer Strafbehörde, wenn es sich wegen bestimmter Straftaten gegen bestimmte Personen richtete (vgl. RGSt 22,273).

Auch die Legaldefinition eines "eingeleiteten Strafverfahrens" in § 397 Abs. 1 AO hat ein weites Verständnis des Begriffes. Es liegt danach vor, "sobald die ... Staatsanwaltschaft ... oder der Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer (Steuer)Straftat strafrechtlich vorzugehen."

Die eher weite Auffassung wird schließlich auch durch Sinn und Zweck der Norm gedeckt. Die Unbefangenheit von Schöffen und Zeugen kann bereits weit vor der Eröffnung der gerichtlichen Hauptverhandlung beeinträchtigt werden. Dies gilt besonders in Fällen, die Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung sind. Darüber hinaus werden die Persönlichkeits rechte der Betroffenen so bestmöglich geschützt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464 Abs. 1, 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

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