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Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bei Sportwettenuntersagung - VG Bremen, Beschluss vom 24.07.06, Az.: 5 V 1707/06

Leitsätzliches

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen eine Untersagungsverfügung eines Sportwettenanbieters ist wiederherzustellen. Die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung ist als schwerwiegender Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 49 EGV, die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 43 EGV sowie das Grundrecht aus Artikel 12 Abs. 1 GG anzusehen.

VERWALTUNGSGERICHT BREMEN  

BESCHLUSS

Aktenzeichen: 5 V 1707/06 

Entscheidung vom 24. Juli 2006

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 5. Kammer - durch ... am 24.07.2006 beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 17.7.2006 gegen die Verfügung des Stadtamtes Bremen vom 7.7.2006 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

G r ü n d e

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen zwei Verfügungen, in denen ihnen die Werbung für Sportwetten untersagt wird.

Die Antragsteller beabsichtigen, in der Spielzeit 2006/2007 der Fußball-Bundesliga Trikotwerbung für das Unternehmen betandwin e. K. zu betreiben, wobei das Unternehmen als neuer Hauptsponsor bezeichnet wird. Betandwin e. K. ist ein einzelkaufmännisches Unternehmen mit Sitz in Sachsen. Inhaber ist Herr xxx, dem am 11.4.1990 vom Kreis L. die Genehmigung zur Eröffnung eines Wettbüros für Sportwetten in N. erteilt wurde. An dem Unternehmen ist die betandWin.com Interactive Entertainment AG mit Sitz in Österreich als (atypisch) stille Gesellschafterin beteiligt. Das Unternehmen bietet über das Internet unterschiedliche Arten von Glücksspielen, insbesondere Sportwetten an.

Mit gleichlautenden Verfügungen vom 7.7.2006 untersagte das Stadtamt Bremen den Antragstellern in der Stadtgemeinde Bremen für Sportwetten oder andere öffentliche Glücksspiele zu werben (z. B. in Form von Trikot- oder Bandenwerbung oder auf der Homepage im Internet), die ohne Genehmigung der in der Freien Hansestadt Bremen zuständigen Behörde im Land Bremen veranstaltet oder vermittelt werden. Dies gelte insbesondere bezüglich Werbung für Sportwetten des Unternehmens betandwin e. K. („betandwin.de“). Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000,- Euro angedroht. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet. Grundlage für das behördliche Handeln sei § 12 Abs. 1 des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (LottStV.); hilfsweise stützt sich die Behörde auf § 10 Abs. 1 BremPolG. Betandwin e. K. verfüge über keine in der Freien Hansestadt Bremen gültige Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen.

Das staatliche Glücksspielmonopol verstoße weder gegen Europarecht noch gegen deutsches Verfassungsrecht. Die Einhaltung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 28.3.2006 werde vom Senator für Inneres und Sport überwacht; gegenüber der Bremer Toto und Lotto GmbH seien Beschränkungen verfügt worden. Betandwin e. K. könne sich nicht auf eine im Jahr 1990 in der DDR erteilte Genehmigung berufen. Sofern diese überhaupt noch wirksam sei, könne sie keine Wirkung in Bremen entfalten. Die Genehmigung habe sich im Übrigen nur auf die „Eröffnung eines Wettbüros für Sportwetten in N.“ erstreckt. Die erforderliche Genehmigung des Ministers des Innern der DDR fehle. Die Untersagung der Werbung für betandwin e. K. sei notwendig, geeignet und erforderlich, um rechtswidriges Handeln zu unterbinden und die damit einhergehenden Gefahren zu verhindern. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei geboten, da besondere und konkrete Gefahren für das Allgemeinwohl, wie Spielsucht und Vermögensverlust, drohten, die es umgehend abzuwehren gelte.

Die Antragsteller legten Widerspruch ein.

Die Antragsteller haben am 14.7.2006 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Sie begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs 1. bis zur Entscheidung des Gerichts und 2. ohne Beifügung einer Befristung. Die Herrn xxx nach dem Gewerbegesetz der DDR erteilte Genehmigung erstrecke sich auf betandwin e. K. und sei bundesweit wirksam. Die Untersagungsverfügungen beruhten auf einer nahezu kompletten Verkennung der bundesverfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben. Die vom BVerfG für das deutsche Verfassungsrecht dem Gesetzgeber eingeräumte Übergangsfrist bis Ende 2007 könne auf das Gemeinschaftsrecht nicht übertragen werden. Ein grenzüberschreitender Bezug liege vor, da die Trikots auch bei Spielen in anderen EU-Ländern getragen würden und betandwin sowohl Wetten an Interessierte aus dem EU-Ausland anbiete als auch Wetten in ein anderes europäisches Land vermittele. Die Verbotsverfügungen seien rechtswidrig und ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse liege nicht vor. Das werbende Marktverhalten von betandwin e. K. unterscheide sich nicht qualitativ von demjenigen der konzessionierten öffentlich-rechtlichen Sportwettanbieter. Die angebliche Bekämpfung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten durch Fortführung des Monopols finde gar nicht oder allenfalls rudimentär statt. Für eine wirkliche Umsteuerung insbesondere des Sportwettanbieters Oddset sei das Stadtamt Bremen weder rechtlich noch politisch kompetent. Betandwin habe dagegen seit Jahren auf freiwilliger Basis weitgehende Maßnahmen zur Spielsuchtbekämpfung ergriffen.

Den Antragstellern entstünden durch die Vollziehung der Untersagungsverfügungen schwerwiegende wirtschaftliche Schäden und organisatorische Nachteile, die nicht mehr reversibel seien.

Die Antragsgegnerin trägt vor, europarechtliche Vorschriften könnten nicht zur Anwendung kommen, da kein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege. Die Herrn xxx erteilte Genehmigung erstrecke sich mangels rechtlicher Identität nicht auf das Unternehmen betandwin e. K..

Seit der Entscheidung des BVerfG vom 28.3.2006 sei den Antragstellern bekannt gewesen, dass der Vollzug der wettrechtlichen Verbotsvorschriften nicht in Frage stehe, so dass in Kauf genommene vermögensrechtliche Risiken nicht schützenswert seien.

Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat in einer E-mail vom 14.7.2006 dem Gericht mitgeteilt, bis zur Entscheidung des angerufenen Gerichts würden keine Vollzugsmaßnahmen aus den angefochtenen Verfügungen vorgenommen.

II.

Eine Entscheidung über den Antrag zu 1. ist entbehrlich, da die Antragsgegnerin dem Eilantrag insoweit durch die E-mail vom 14.7.2006 entsprochen hat.

Der nach §§ 80 Abs. 5, 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zulässige Antrag zu 2. ist begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in der Verfügung des Stadtamtes in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet worden. Ob diese Begründung inhaltlich zutrifft, ist für die Entscheidung des Gerichts unerheblich. Das Gericht hat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht nachzuprüfen, ob die behördliche Anordnung durch die ihr beigegebenen Gründe gedeckt wird, sondern selbst die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen (st. Rspr. des OVG Bremen, vgl. B. v. 15.12.1989, 1 B 100/89). Diese Abwägung fällt zu Gunsten der Antragsteller aus. Nach summarischer Prüfung hat das Stadtamt den Antragstellern zu Unrecht die Trikotwerbung für betandwin e. K. untersagt. Auch eine - hilfsweise vorgenommene - Abwägung der beteiligten Interessen bei Annahme einer rechtlich offenen Entscheidung ergibt eine Entscheidung zu Gunsten der Antragsteller.

Gemäß § 12 Abs. 1 LottStV i. V. m. dem bremischen Zustimmungsgesetz vom 15.6.2004 hat die zuständige Behörde darüber zu wachen, dass unerlaubtes Glücksspiel und die Werbung hierfür unterbleiben. Die Behörde kann die hierzu erforderlichen Maßnahmen treffen. Der umfassende Regelungsgehalt der streitgegenständlichen Verfügungen ist im vorliegenden Eilverfahren nur in Bezug auf die beabsichtigte Trikotwerbung für betandwin e. K. zu beurteilen, da die Antragsteller derzeit nur für diesen Wettanbieter Werbung betreiben wollen und daher lediglich insofern ein Eilbedürfnis besteht. Die beabsichtigte Trikotwerbung beinhaltet jedoch keine Werbung für unerlaubtes Glücksspiel, da sich betandwin e. K. auf eine gültige Erlaubnis für die Veranstaltung von Glücksspiel berufen kann.

Die Herrn xxx am 11.4.1990 erteilte Genehmigung ist weiterhin wirksam. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Beschluss vom 20.10.2005 (6 B 52/05) festgestellt, dass Verwaltungsakte, die nach der seinerzeitigen Staats- und Verwaltungspraxis der DDR ungeachtet etwaiger Rechtsmängel als wirksam angesehen und behandelt wurden, wirksam ergangen und auch weiterhin gültig sind. Auf einen solchen Verwaltungsakt könne sich der Begünstige nur nicht berufen, wenn dieser nichtig sei, d. h. ihm ein schwerer und offenkundiger Fehler anhafte.

In Bezug auf die Herrn xxx erteilte Genehmigung hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 11.10.2001 (I ZR 172/99) ausgeführt, diese Genehmigung sei jedenfalls nicht nichtig; sie bestehe fort, da sie weder zurückgenommen noch widerrufen worden sei. Die Antragsteller haben einen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums D. vom 17.3.2004 vorgelegt.

In diesem Bescheid wird bestätigt, dass die o.g. Genehmigung weiterhin Gültigkeit besitzt.

Der Umstand der atypischen stillen Beteiligung der betandWin.com Interactive Entertainment AG an betandwin e. K. hat - nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung - keine Auswirkungen auf den Fortbestand der o.g. Genehmigung. Die betandWin.com Interactive Entertainment AG hat mit Wirkung vom 30.4.2002 die stillen Anteile erworben, die Herr yyy an der Firma des Herrn xxx hatte. Die Antragsteller haben den entsprechenden Kaufvertrag vorgelegt. Da eine stille Gesellschaft nach außen nicht in Erscheinung tritt und im Verhältnis zu Dritten nicht Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann (Koller/Roth/Morck, HGB, 5. Aufl., 2005, § 230, Rdz. 23), kann die stille Beteiligung keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Herrn xxx erteilten Gewerbeerlaubnis haben. Herr xxx ist auch weiterhin für das Gebaren des Unternehmens betandwin e. K. maßgeblich. Nach dem vorgelegten Kaufvertrag vermittelt die stille Beteiligung lediglich eine Beteiligung am Kapital sowie an Gewinnen und Verlusten in Höhe von 50 %. Dies entspricht einer vom Regierungspräsidium D. zitierten Auskunft der IHK D. vom 2.5.2003, derzufolge Herr xxx weiterhin Alleinverantwortlicher für den Geschäftsbetrieb seiner Firma ist. Anhaltspunkte, die für seine umfassende Weisungsabhängigkeit oder gar für eine Alleingeschäftsführung des ausländischen Unternehmens sprächen, seien nicht gegeben.

An dieser Einschätzung hält die Kammer auch angesichts des Beschlusses des Sächsischen OVG vom 22.12.2004 (3 BS 405/03) fest. Das OVG äußert dort Zweifel am Fortbestand der Herrn xxx erteilten Gewerbegenehmigung im Hinblick auf die Identität des Gewerbetreibenden, lässt diese Frage jedoch im Ergebnis ausdrücklich offen. An diesem Verfahren war betandwin e. K. nicht beteiligt. Es ist dort von dritter Seite vorgetragen worden, Herr xxx habe seine Firma für eine größere Kaufsumme an die österreichische Sportwettveranstalterin betandwin e. K. veräußert. Dies ist nach derzeitiger Kenntnis der Kammer so nicht zutreffend, so dass das Sächsische OVG bei seiner Beurteilung möglicherweise von falschen Tatsachen ausgegangen ist.

Die Kammer hat im vorliegenden Verfahren nicht die Frage zu beurteilen, ob die o.g. Gewerbegenehmigung nur in Sachsen oder im gesamten Bundesgebiet gilt. Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die Veranstaltung oder Vermittlung von Wetten im Gebiet der Stadtgemeinde Bremen. Zu entscheiden ist allein die Frage, ob die Antragsteller für einen Wettveranstalter, der - jedenfalls in Sachsen - legal tätig werden kann, Werbung betreiben dürfen. Hierin vermag die Kammer keinen ordnungsrechtlichen oder gar strafbaren Verstoß zu sehen.

Bei einer anderen Bewertung der Geltung der Herrn xxx erteilten Genehmigung oder der Konsequenzen eines nur beschränkten Geltungsbereiches dieser Genehmigung würde sich die Frage der verfassungsrechtlichen und der europarechtlichen Beurteilung der Vorschriften des LottStV und des Brem. Gesetz über Wetten und Lotterien stellen. Die Kammer ist der Ansicht, dass ein Durchdringen dieser Problematiken im Eilverfahren im Hinblick auf den bestehenden Zeitdruck nicht mit der erforderlichen Substanz erfolgen könnte. Die vor diesem Hintergrund vorzunehmende Abwägung der betroffenen Interessen bei offener Rechtslage würde ebenfalls zur tenorierten Entscheidung führen.

Die Antragsgegnerin begründet ihr Vollzugsinteresse mit den Gefahren für das Allgemeinwohl wie Spielsucht und Vermögensverlust und den Belangen des Jugendschutzes. Hierbei handelt es sich um beachtliche Belange des Gemeinwohls (vgl. auch BVerfG, Urt. v. 28.3.2006, 1 BvR 1054/01, Rdz. 100 ff.). Hinsichtlich der Frage, ob eine Beeinträchtigung dieser öffentlichen Belange bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann, ist jedoch die Entwicklung der letzten Jahre zu berücksichtigen. Die staatlichen Lotto und Toto-Gesellschaften und insbesondere der Sportwettanbieter Oddset haben in den vergangenen Jahren massiv für ihr Angebot geworben und damit gegen genau die öffentlichen Belange gehandelt, die durch die streitgegenständlichen Verfügungen nun geschützt werden sollen. Betandwin e. K. will dieses - nun eingeschränkte - staatliche Angebot nur fortsetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass betandwin e. K. unter der gewerberechtlichen Aufsicht der zuständigen sächsischen Behörden steht. Bereits in der vergangenen Saison der Fußball-Bundesliga wurde an der Bande des Weser-Stadions für betandwin geworben, ohne dass die Antragsgegnerin eingeschritten wäre.

Vor diesem Hintergrund überwiegt bei Berücksichtigung der erheblichen nicht nur wirtschaftlichen sondern auch organisatorischen Folgen für die Antragsteller deren auf Art. 12 GG gestütztes Suspensivinteresse.

Die aufschiebende Wirkung wird auch hinsichtlich der unter Ziffer 2. der angefochtenen Verfügungen geregelten Zwangsgeldandrohung wiederhergestellt. Mangels vollziehbarer Grundverfügung ist die Anwendung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung nicht zulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen statthaft. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses bei dem Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Am Wall 201, 28195 Bremen, (Nachtbriefkasten im Eingangsbereich Ostertorstraße/Buchtstraße) einzulegen und innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses zu begründen. Die Beschwerde muss von einem Rechtsanwalt oder einem sonst nach § 67 Abs. 1 VwGO zur Vertretung berechtigten Bevollmächtigten eingelegt werden.

Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen einzureichen. Die Beschwerde muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Unterschriften