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Zeitungsartikel dürfen online archiviert werden - LG Braunschweig, Urteil vom 12.08.2009, Az.: 9 S 417/08

Leitsätzliches

Werden in einem Zeitungsartikel urheberrechtlich geschützte Werke zulässigerweise dargestellt, ist auch die Speicherung dieser Darstellung bei der Online Archivierung des Zeitungsartikels zulässig. Die Zulässigkeit der Archivierung und der Zugänglichmachung des Archivs entfällt nicht mit Abnahme der Aktualität des Ereignisses, da die ursprünglich erlaubte Nutzung nicht durch Zeitablauf unzulässig wird.

LANDGERICHT BRAUNSCHWEIG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 9 S 417/08)

Entscheidung vom 12. August 2009

 

In dem Rechtsstreit

...

gegen

...

wegen Urheberrecht

hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 15.07.2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landgericht …

den Richter am Landgericht … und

die Richterin …

für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 27.08.2008 (Aktenzeichen: 117 C 304/08) abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Urteil ist für die Beklagte hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 2 332,46 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadenersatz wegen unberechtigten Eingriffs in fremde Urheberrechte in Anspruch.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 27.08.2008 (Bl. 139 ff. d. A.).

Das Amtsgericht hat die Beklagte – mit Ausnahme eines geringen Teils der Zinsforderung – antragsgemäß zur Zahlung von 2 332,46 € verurteilt. Gegen dieses Urteil, das am 01.09.2008 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit einem am 22.09.2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 03.12.2008 (Eingang bei Gericht) begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass entgegen der angefochtenen Entscheidung das von ihr betriebene Online-Archiv durch § 50 UrhG gerechtfertigt sei. Die Aktualität eines Artikels könne allein für den Tag der Veröffentlichung aus einer exante-Perspektive bestimmt werden. Die Auferlegung einer nachträglichen Prüfungspflicht der Tagesaktualität für jeden einzelnen Beitrag einer Tageszeitung sei nicht praktikabel. Eine einmal zulässige Benutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes könne sich nicht allein durch Zeitablauf in eine unzulässige entgeltpflichtige Benutzung umwandeln.

Zudem ist die Beklagte der Ansicht, dass die Verbreitung der streitgegenständlichen Zeitungsartikel auch von § 51 UrhG gerechtfertigt sei. In den Artikeln finde eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der abgebildeten Kunst statt, so dass die Veröffentlichung der Bilder durch ihre Zitier- und Belegfunktion gerechtfertigt sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Braunschweig vom 27.08.2008, Aktenzeichen 117 C 304/08, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig sei zutreffend ergangen. Ergänzend führt sie aus, dass ein auf Dauer betriebenes Online-Archiv nicht der Berichterstattung über Tagesaktualitäten diene und deshalb nicht zu den durch § 50 UrhG privilegierten Medien gehöre. Auch sei die Verbreitung der urheberrechtlich geschützten Werke nicht durch § 51 UrhG gerechtfertigt, weil es hierfür am erforderlichen engen Zusammenhang zwischen dem Text und den Abbildungen fehle. Die konkreten Abbildungen hätten zumeist nicht dem ausführenden Text gedient.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2009 Bezug genommen.

II.

Die zulässige – insbesondere form- und fristgerecht eingelegte – Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

1)

Nach Auffassung der Kammer ist das Angebot der Beklagten in dieser Form von § 50 UrhG gedeckt. Das Urteil des Amtsgerichts ist daher abzuändern und die Klage abzuweisen. Im Einzelnen:

Die Publikation der Artikel durch die Beklagte auf ihrer Onlineplattform unterfällt § 19a UrhG (Recht der öffentlichen Zugänglichmachung).

Jedenfalls im Zeitpunkt des erstmaligen Erscheinens waren diese Artikel von der Schrankenbestimmung des § 50 UrhG gedeckt.

Es handelt sich bei den Online-Publikationen um ein „ähnliches technisches Mittel“ i.S.d. § 50 UrhG. Bei allen Artikeln handelte es sich um eine Berichterstattung über Tagesereignisse. § 50 UrhG verlangt weiter, dass die erlaubnis- und vergütungsfreie Werknutzung im Rahmen einer Berichterstattung über Tagesereignisse erfolgt. Unter einem Tagesereignis ist eine tatsächliche aktuelle Begebenheit zu verstehen, die für die Allgemeinheit von Interesse ist (so auch BGH GRUR 2002, 1050, 1051 – Zeitungsbericht als Tagesereignis). Zwei Komponenten sind es, die ein Tagesereignis im Sinne des § 50 UrhG charakterisieren: Zum einen seine Aktualität und zum anderen das Interesse der Öffentlichkeit, mindestens aber einer interessierten größeren Gruppe (Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 50, Rn 4).

Vorliegend war die Berichterstattung der Beklagten im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Artikel in der Printversion ihrer Tageszeitung sowie der Einstellung in das digitale Archiv unstreitig tagesaktuell.

Es wurden nur bei dem Ereignis wahrnehmbare Werke in dem gebotenen Umfang gezeigt.

Es wird auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt, dass das Einstellen in das Onlinearchiv am Tag der Veröffentlichung zulässig war.

Die zulässige Nutzung wird nicht durch bloßen Zeitablauf unzulässig.

Für das alte Recht war anerkannt, dass es für den Aktualitätsbezug auf den Zeitpunkt des Erscheinens ankommt (BGH GRUR 2002, 1050 – Zeitungsbericht als Tagesereignis). Dies gilt auch für die neu in das Gesetz aufgenommenen digitalen Medien. Die Beklagte kann die Artikel daher – in unveränderter Form – dauerhaft digital ablegen. Soweit sich durch die technischen Möglichkeiten ein – im Vergleich zu einem Papierarchiv – verbesserter Zugriff ergibt, hat der Gesetzgeber dies bewusst in Kauf genommen.

Mit der Neufassung des Gesetzestextes vom 10.09.2003 wurde ausdrücklich auch die Berichterstattung in digitalen Online-Medien in die Freigabe einbezogen (Regierungsentwurf Urhebergesetz – BT-Drucksache 15/38, Seite 19; Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 50, Rn. 2; Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl., § 50, Rn 3).

Bereits im Jahr 2003 betrieben sämtliche große Tageszeitungen digitale Archive, so dass der Gesetzgeber dies berücksichtigt haben muss. Nicht nur Tageszeitungen, sondern auch Fernsehsender, wie ARD oder NTV, betreiben derartige Medienarchive, in denen alte Sendungen noch über einen unbestimmten Zeitraum abgerufen werden können.

Diese Erweiterung des § 50 UrhG auf digitale Medien war auch nicht in der rechtspolitischen Diskussion. Diese verlief sehr kontrovers, beschäftigte sich aber mit anderen Aspekten der Novelle (vgl. die Übersicht über die Dokumente zum Gesetzgebungsverfahren aus www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/). Der ursprüngliche Referentenentwurf zu § 50 UrhG ist nur geringfügig sprachlich geändert worden (vgl. www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/syn/synopse-02-12.pdf).

Ein Löschen der ursprünglich zulässigen Abbildungen der Werke aus den Artikeln wäre technisch möglich, der Aufwand wäre aber enorm.

Eine solche Prüfungspflicht der Presse widerspräche dem Sinn und Zweck, der bei der Gesetzesänderung im Jahr 2003 verfolgt wurde. Laut amtlicher Begründung sollte insbesondere die Berichterstattung im Rahmen digitaler Onlinemedien erfasst werden. Die Anforderungen an die Presse würden überspannt, wenn jeder einzelne Bericht laufend auf seine Aktualität überprüft werden müsste. Dies würde einen unangemessenen Aufwand bedeuten, da einige Themen bereits nach dem Tag ihres Erscheinens nicht mehr aktuell sind, andere über Monate die Tagespresse bestimmen. Dabei wird es kaum möglich sein, an die erstinstanzlich noch diskutierte 4-Wochen-Frist anzuknüpfen. Bei Kunstausstellungen wäre es denkbar an die Ausstellungsdauer anzuknüpfen. Aber schon bei einer Museumseröffnung oder dem Bericht über ein neu aufgestelltes Denkmal fehlt ein brauchbares Kriterium. Da die Presse einen solchen Überprüfungsaufwand nicht mit vertretbarem Aufwand bewältigen kann, würde das vorliegende erstinstanzliche Urteil faktisch zu einer Unzulässigkeit von Onlinearchiven führen.

Der Gesetzestext des § 50 UrhG enthält einen weiteren Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die dauerhafte Archivierung gestatten wollte. Die Schrankenbestimmung gilt auch für Offline-Medien wie CD-Rom und DVD. Dies sind die „sonstigen Datenträger, die im wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen“ (vgl. BT-DS 15/38, S. 15; Wandtke/Bullinger UrhR, 3. Aufl., § 50, Rn. 3 a.E). Diese Medien dienen aber gerade der dauerhaften Archivierung. Der Zugriff auf die Inhalte dieser digitalen Medien ist über entsprechende Suchfunktionen genauso einfach wie auf Onlineinhalte.

Durch dieses Gesetzesverständnis der Kammer werden auch die Interessen des Urhebers nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

Zunächst gelten die strengen Anforderungen des § 50 UrhG an die Zulässigkeit zum Erscheinungszeitpunkt. Es muss sich um eine Berichterstattung über Tagesereignisse handeln. Die geschützten Werke müssen im Rahmen dieser Ereignisse wahrnehmbar sein. Sie dürfen auch dann nur im gebotenen Umfang genutzt werden (vgl. dazu BGH GRUR 1983, 25 - Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I; BGH GRUR 1985, 28 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II).

Diese Anforderungen gelten zeitlich unbegrenzt. Dies hat zur Konsequenz, dass die ursprünglich zulässigen Artikel nicht verändert oder in anderer Form neu verwertet werden dürfen (vgl. LG Hamburg GRUR 1989, 591 – Neonrevier).

Die bloße „elektronische Ablage“ ist dagegen gestattet. Der Aktualitätsbezug wird durch den ursprünglichen Kontext erhalten.

Die grundsätzlichen Überlegungen des BGH (a.a.O. GRUR 1983, 27) zu den Interessen des Urhebers gelten auch für diese Nutzung:

„Mit dem Abdruck … werden die Interessen des Urhebers in aller Regel nicht nennenswert beeinträchtigt, sondern eher gefördert. Die Vervielfältigung und Verbreitung eines Werkes in einer Tageszeitung wird nach der Lebenserfahrung das Interesse am Künstler und seinem Werk wecken bzw. verstärken und kommt daher letztlich auch dem Künstler zugute. … Es verbleibt in Fällen der vorliegenden Art allenfalls eine so geringe Beeinträchtigung urheberrechtlicher Interessen, die zudem noch durch die Vorteile aus einer Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes in einer Tageszeitung aufgewogen wird, dass ihnen gegenüber das Informationsinteresse der Allgemeinheit und das Recht der Presse auf freie Berichterstattung auch bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Vorrang haben muss. Dieser Interessenlage hat der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Gestaltungsbefugnis Rechnung getragen …“.

2)

Da die Berufung bereits aus den unter 1) genannten Gründen Erfolg hat, bedarf die Frage, ob das Online-Archiv auch durch das Zitatrecht des § 51 UrhG gerechtfertigt oder der diesbezügliche Vortrag verspätet ist, keiner Entscheidung.

III.

1)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

2)

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3)

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
4)Die Festsetzung des Streitwerts für den Berufungsrechtszug beruht auf § 47 Abs. 1 GKG.

(Unterschriften)