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Zum Verbot von Vorher-Nachher-Werbung für Schönheitseingriffe mittels Hyaluronsäure, OLG Köln, Urt. vom 27.10.2023 – 6 U 77/23

Leitsätzliches

1) Das Werben mit Vorher-Nachher-Bildern für plastisch-chirurgische Eingriffe mittels Hyaluronsäure gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG ist unzulässig.
2) Auch minimalinvasive Methoden wie das Unterspritzen mit Hyaluron, bei denen mittels einer Nadel unter die Haut eingegriffen wird, sind operative plastisch-chirurgische Eingriffe. Diese zielen auf eine sichtbare Veränderung der Körperform oder -oberfläche ab und fallen daher unter die relevanten Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes.
3) Der Schutzzweck des Heilmittelwerbegesetzes u.a. besteht darin, Verbraucher vor den Risiken und möglichen Folgen schönheitschirurgischer Eingriffe durch irreführende Werbung zu schützen.

6 U 77/23

OBERLANDESGERICHT KÖLN

URTEIL

 

In dem Rechtsstreit

[...]

     Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 19.04.2023 – 84 O 143/22 – wird zurückgewiesen.

     Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu je 1/3.

     Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit leistet. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit beträgt bezüglich des Unterlassungsanspruchs 5.000,00 € und im Übrigen für die Beklagten 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages und für den Kläger 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

     Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

     Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.
Der Kläger, ein eingetragener Wettbewerbsverband, nimmt die Beklagten, die eine ärztliche Gemeinschaftspraxis betreiben, wegen behaupteter Verstöße gegen das HWG auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

Die Beklagten zu 2) und 3), die als Gesellschafter die Beklagte zu 1) bilden, firmieren unter der Bezeichnung „N. Privatpraxis …“. Zu Werbezwecken unterhalten die Beklagten eine unter der Domain ...www.n..de/ geschaltete Internetseite. Darauf werben sie mit Fotos, die behandelte Patienten vor und nach einer Behandlung durch die Beklagten zeigen sollen (Vorher-Nachher-Bilder). So werben die Beklagten etwa für eine Behandlung von Nasen- und Kinnpartie mit dem nachstehend eingeblendeten Bilderpaar:

 
Alle streitgegenständlichen Bilder, die im Anlagenkonvolut K3 (Bl. 13 ff. GA) enthalten sind, sollen jeweils das Ergebnis einer Unterspritzung der Haut mit Hyaluronsäure oder sog. „Fillern“ zeigen (Giabella, Hohlwangenunterspritzung, Krähenfüßebehandlung, Nasolabialfaltenbehandlung, Volumenaufbau, Wangenunterspritzung, Faltenbehandlung). Bei einer solchen Behandlung wird zur Veränderung der äußeren Erscheinung des Patienten ein Präparat mittels einer Spritze unter die Haut eingebracht.

Wegen dieser Werbung mahnte der Kläger, der hierin einen Verstoß gegen das Heilmittelwerberecht sowie das Wettbewerbsrecht sieht, die Beklagten erfolglos unter dem 30.08.2022 ab (Anlage K4, Bl. 28 ff. GA).

Wegen des näheren Sach- und Streitstandes bis zur Entscheidung in erster Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen (Bl. 131 ff. GA).

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die angegriffene Werbung verstoße gegen § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG. Hiernach sei es untersagt, für einen operativen plastisch-chirurgischen Eingriff mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff zu werben. Unter den Begriff des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs falle jeder instrumentelle Eingriff am oder im Körper des Menschen, mit dem Form- und Gestaltveränderungen an den Organen oder der Körperoberfläche vorgenommen würden. Hierunter falle auch das Unterspritzen der Haut mit Hyaluronsäure oder „Fillern“ mittels einer Kanüle, das einen instrumentellen Eingriff zur Form- und Gestaltsveränderung darstelle. Der Eingriff finde unter der Haut des Patienten und mithin im menschlichen Körper statt, so dass ein operativer chirurgischer Eingriff vorliege, wie sich aus einer Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. (Urteil vom 03.08.2021, 3-06 O 16/21, vorgelegt als Anlage K6, Bl. 35 ff. GA) ergebe. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens, wie von den Beklagten beantragt, sei entbehrlich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der im Wesentlichen geltend gemacht wird: Das angefochtene Urteil erschöpfe sich in einer Wiedergabe der Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. und sei daher nicht ausreichend begründet bzw. habe den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Zu Unrecht habe die Kammer, wie zuvor auch das Landgericht Frankfurt a.M., davon abgesehen, ein dermatologisches oder chirurgisches Sachverständigengutachten einzuholen. Bei der Behandlung mit Hyaluronsäure handele es sich um eine wenig invasive oberflächliche Unterspritzung der Falten mit dem Ziel der Auffrischung der Haut. Sie stelle sich daher nur als vorübergehende Behandlung dar, die dazu diene, mittels eines körpereigenen Stoffes eine lokale Feuchtigkeitserhöhung und damit ein jüngeres Hautbild zu erreichen. Dabei werde das Hyaluron – anders als etwa bei einer Impfung oder auch einer Vitaminspritze – nicht intramuskulär injiziert. Die Risiken seien entsprechend gering, weshalb dieser Eingriff auch von Heilpraktikern durchgeführt werden dürfe. Die Begründung des Gesetzes spreche ebenfalls dafür, dass von dem Verbot des Vorher-Nachher-Vergleichs nur schönheitschirurgische Eingriffe erfasst seien, wie man sie klassischerweise kenne (Brustvergrößerung, Fettabsaugung) und die mit einer erheblichen Invasivität verbunden seien, die weit über das minimalinvasive Unterspritzen mit Hyaluron hinausgehe. So stelle der Gesetzgeber ausdrücklich klar, dass weniger invasive Maßnahmen nicht als „operative“ Verfahren verstanden werden sollten, so etwa das Ohrlochstechen, Piercen oder Tätowieren. Insbesondere das Tätowieren und auch das Piercen wiesen durchaus Gefahren auf, etwa bei allergischen Reaktionen, die nicht unerheblich seien. Zudem werde gerade durch das Tätowieren ein dauerhafter und nicht reversibler Zustand hergestellt, während die Unterspritzung mit Hyaluron lediglich sechs bis neun Monate anhalte. Eine Erfassung auch der letzteren Behandlung von dem Werbeverbot sei daher – auch vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit der Beklagten – nicht verhältnismäßig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 06.07.2023 (Bl. 95 ff. eA) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung

     die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

     die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

1. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG wegen unlauterer Werbung unter dem Aspekt des Rechtsbruchs (§§ 3 Abs. 1, 3a UWG) zusteht, weil die Beklagten mit den angegriffenen Vorher-Nachher-Vergleichen auf ihrer Internetseite gegen das Werbeverbot des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG verstoßen haben.

a) Der Kläger ist, was die Beklagten nicht in Abrede stellen, aktivlegitimiert, weil er beim Bundesamt der Justiz in die dort geführte Liste der klagebefugten qualifizierten Wirtschaftsverbände gemäß § 8b UWG eingetragen ist (vgl. Anlage K1, Bl. 10 f. GA) und auch die sonstigen in § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG genannten Voraussetzungen erfüllt.

b) Durch die angegriffene Werbung haben die Beklagten gemeinschaftlich eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG vorgenommen, weil sie zugunsten ihres eigenen Unternehmens vor einem Geschäftsabschluss zur Förderung des Absatzes ihrer angebotenen Dienstleistungen auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie handelten.

c) Diese Handlung ist als unlauter im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG zu bewerten, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, weil die Beklagten hiermit einer gesetzlichen Vorschrift zuwidergehandelt haben, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Um eine solche Vorschrift handelt es sich bei dem Werbeverbot des § 11 HWG (vgl. zum Schutzzweck der Werbeverbote des HWG nur BGH GRUR 2009, 509, 510 Rn. 24 – Schoenenberger Artischockensaft sowie Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 3a Rn. 1.217).

aa) Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG liegt vor. Danach darf für die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) HWG genannten operativen plastisch-chirurgischen Eingriffe nicht mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben werden:Der Beurteilung des Landgerichts, wonach das Unterspritzen von Körperteilen mit Hyaluron einen solchen operativen plastisch-chirurgischen Eingriff darstellt, tritt der Senat bei.

(1) Insofern ist zunächst festzustellen, dass die von der Beklagten gerügten Verstöße gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nicht durchgreifen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht die eigene Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen einer Partei in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen hat (BGH GRUR 2009, 90, 91 Rn. 7 - Beschichten eines Substrats). Art. 103 Abs. 1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Vortrags beruhen. Sein Schutzbereich ist auf das von dem Gericht einzuhaltende Verfahren, nicht aber auf die Kontrolle der Entscheidung in der Sache gerichtet (BGH NJW-RR 2020, 1389, 1390 Rn. 13).

Gemessen hieran hat das Landgericht das rechtliche Gehör der Beklagten nicht verletzt, denn es hat ausweislich des Tatbestandes durch Inbezugnahme der Ausführungen in der Klageerwiderung deren wesentliche Einwände gegen den geltend gemachten Anspruch zur Kenntnis genommen und hat sich auch in den Entscheidungsgründen hiermit befasst, insbesondere betreffend die Auslegung des Begriffs des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs. Dass es hierzu auf die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. zurückgegriffen und diese sowie die Ausführungen im Protokoll der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. wörtlich wiedergegeben hat, stellt keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar, sondern ist eine zulässige Bezugnahme auf vergleichbare Entscheidungen. Wie aus den Ausführungen des Landgerichts vor den zitierten Passagen hervorgeht, hat es sich die darin enthaltenen Erwägungen nach eigener Würdigung zu eigen gemacht. Das Landgericht hat auch die Ablehnung der Einholung des von den Beklagten beantragten Sachverständigengutachtens begründet, und zwar damit, dass nach seiner Auffassung bereits die unstreitigen Umstände zu einer Bejahung des Verstoßes ausreichten (LGU S. 6, Bl. 136 GA). Dass dies nicht der Rechtsauffassung der Beklagten entsprach, begründet keine Verletzung rechtlichen Gehörs.

Hieraus folgt zugleich, dass das angefochtene Urteil nicht an einem Begründungsmangel leidet. Bei der Abfassung seiner Entscheidungsgründe hat das Gericht eine gewisse Freiheit. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Wenn aber ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde, sofern der Vortrag nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstanziiert war (BVerfG NJW 2023, 2712, 2713 Rn. 15). Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine Begründung, die erkennen lässt, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Dies erfordert nicht eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten, wenn sich nur ergibt, dass eine sachentsprechende Beurteilung überhaupt stattgefunden hat (vgl. zu der Bestimmung des § 547 Nr. 6 ZPO Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 547 Rn. 16). So liegt es auch hier, weil das Landgericht alle entscheidungserheblichen Fragen, wie oben ausgeführt, behandelt hat, auch wenn dies nicht in der von der Beklagten gewünschten Ausführlichkeit geschehen ist.

(2) Auch in der Sache hält die Auslegung des Landgerichts den Angriffen der Berufung stand.

Dabei kann dahinstehen, ob sich dies bereits daraus ergibt, dass das Landgericht im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt hat (LGU S. 2, Bl. 132 GA), dass die Beklagten auf ihrer Internetseite, wie sie in Anlage K3 auszugsweise wiedergegeben ist „für verschiedene operative plastisch-chirurgische Eingriffe“ werben. Einen Tatbestandsberichtigungsantrag haben die Beklagten hiergegen nicht angebracht.

Denn jedenfalls liegt ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG vor, weil es sich bei der Unterspritzung von Falten etc. mit Hyaluron um einen Eingriff im vorgenannten Sinne handelt, für den die Beklagten mit Vorher-Nachher-Bildern geworben haben (vgl. jüngst hierzu OLG Düsseldorf GRUR 2022, 1768 – Brazilian Butt Lift).

In einem ersten Schritt ist hierbei festzuhalten, dass der vom HWG verwendete Begriff des operativen plastisch-chirurgischen Eingriff (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG, § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG) nicht legaldefiniert und daher auslegungsbedürftig ist (vgl. OLG Düsseldorf GRUR 2022, 1768 Rn. 24 f. – Brazilian Butt Lift).

Zwar könnte der Wortlaut bei unbefangener Betrachtung zunächst – entsprechend der Deutung der Beklagten - an einen „klassischen“ operativen Eingriff durch Öffnung des Körpers mittels Skalpell oder Messer denken lassen. Auch nennt die Gesetzesbegründung (Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes), mit der dieser Begriff eingeführt wurde, insbesondere Brustvergrößerungen durch Implantate oder Fettabsaugung zur Veränderung der Körperformen (BT-Drs. 15/5316, S. 46) als Beispiele für solche Eingriffe, wie die Beklagten grundsätzlich zu Recht ausführen.

Hierbei kann jedoch unter Berücksichtigung des Schutzzweckes des Werbeverbotes und des HWG insgesamt nicht stehen geblieben werden.

Insofern hat das OVG Münster zutreffend (für den Anwendungsbereich des HeilpraktikerG) ausgeführt:

„Das Injizieren des Füllmaterials in die Haut bzw. in die oberen Hautschichten erfordert neben dem notwendigen allgemeinen Wissen bei der Verabreichung von Injektionen aber zusätzliche Kenntnisse über den Aufbau und die Schichten der Haut sowie über den Verlauf von Blutgefäßen, Nervenbahnen und Muskelsträngen in dem für die Injektion vorgesehenen Gesichtsbereich und regelmäßig auch […] eine vorhergehende Diagnose zu möglichen Ursachen der Faltenbildung sowie eine Beurteilung dazu, ob eine Faltenunterspritzung aus ästhetischen Gründen in Betracht kommt oder aus dermatologischer/chirurgischer Sicht, etwa weil eine Hautkrankheit vorliegt, unterbleiben muss“

(vgl. OVG Münster, Beschluss vom 28.04.2006, 13 A 2495/03, BeckRS 2006, 23328).

Diese Umstände, die als allgemeinkundig anzusehen sind, weil sich selbst für einen Laien bei schlichter Betrachtung des Vorgangs der Faltenunterspritzung die Notwendigkeit dermatologischer Kenntnisse aufdrängt (vgl. OLG Karlsruhe WRP 2012, 1579, 1580 Rn. 21 - Faltenunterspritzung) und daher, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, keiner Beurteilung durch einen Sachverständigen bedürfen, rechtfertigen es auch im Anwendungsbereich des HWG, einen operativen Eingriff bereits dann anzunehmen, wenn ein instrumenteller Eingriff am oder im Körper des Menschen erfolgt, mit dem Form- und Gestaltveränderungen an den Organen oder der Körperoberfläche vorgenommen werden (vgl. Meyer GRUR 2006, 1007). Denn Zweck der Erstreckung des HWG auf operative plastisch-chirurgische Eingriffe ist der Schutz der Verbraucher bzw. der Bevölkerung vor erheblichen Gesundheitsschäden und Risiken, indem eine (insbesondere suggestive oder irreführende) Werbung mit medizinisch nicht notwendigen schönheitschirurgischen Eingriffen verboten wird. Darauf, ob sich die erheblichen Gesundheitsschäden und Risiken im Einzelfall tatsächlich realisieren, kommt es nicht an. Es soll für einen mit gesundheitlichen Risiken versehenen Eingriff ohne medizinische Notwendigkeit kein Anreiz durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geschaffen werden (vgl. OLG Düsseldorf GRUR 2022, 1768 Rn. 36 m.w.N. – Brazilian Butt Lift). Diesem Schutzzweck entspricht es, keine Beschränkung des Begriffs des operativen Eingriffs auf einen solchen durch Skalpell o.ä. vorzunehmen bzw. danach zu differenzieren, ob bei den Eingriffen die Körperoberfläche eröffnet wird und mit welchem Instrument und in welchem Umfang dies geschieht, weshalb die Aufzählung in der Gesetzesbegründung lediglich als beispielhaft und nicht als abschließend zu verstehen ist (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O. Rn. 37 f.; zustimmend Fritzsche, in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, § 11 HWG Rn. 51; a.A. ohne Begründung Köber, in: MüKoUWG, 3. Aufl. 2022, § 11 HWG Rn. 87). Daher steht es auch, anders als die Beklagten meinen, der Annahme eines operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs nicht entgegen, dass die von ihnen beworbene Unterspritzung infolge der vorzitierten OVG-Entscheidung auch von Heilpraktikern, die per se keine Operationen im engeren Sinne durchführen dürfen, vorgenommen werden darf.

Soweit die Beklagten hiergegen einwenden, dass die Risiken bei der Unterspritzung mit Hyaluron gerade im Vergleich zur Tätowierung gering seien, so ist dem entgegenzuhalten, dass es dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterfällt, welche Behandlungen er dem Heilmittelwerberecht zuweist. Die von den Beklagten angeführte Gesetzesbegründung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens“ vom 03.11.2004 (Anlage HWC1, Bl. 98 ff. GA), mit der Tätowierungen etc. ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des HWG ausgenommen werden sollten, ist für die vorliegend vorzunehmende Auslegung bereits deshalb nicht relevant, weil dieser – außerdem nicht Gesetz gewordene – Entwurf den Anwendungsbereich des HWG auf „operative“ Verfahren eingrenzen sollte (a.a.O. S. 5, Bl. 100 GA) und nicht auf – wie hier zu beurteilen - „operative plastisch-chirurgische Verfahren“ abstellte. Gerade die Gegenüberstellung der beiden Begriffe belegt, dass der nunmehr im Gesetz befindliche Begriff weiter gefasst sein muss, weil „operativ“ und „chirurgisch“ begriffliche Überschneidungen aufweisen (OLG Düsseldorf GRUR 2022, 1768 Rn. 30 – Brazilian Butt Lift), was dafür spricht, dass der Gesetzgeber eine nicht zu enge Definition verwenden wollte.

Zudem lässt sich auch der vorgenannten Gesetzesbegründung entnehmen, dass für die Frage, ob ein „operativer“ Eingriff vorliegt, nicht die Intensität des körperlichen Eingriffs und/oder die Eröffnung der Haut die zentrale Rolle spielen, sondern die Risiken, die für die Gesundheit der Verbraucher aus dem Eingriff erwachsen können (OLG Düsseldorf a.a.O. Rn. 39). Indem Tätowierungen und Ohrlochstechen darin in unmittelbarem Zusammenhang erwähnt werden, wird auch deutlich, dass die von den Beklagten angenommene gleiche Gefährdungslage von Tätowieren und Faltenunterspritzen vom Gesetzgeber offensichtlich nicht geteilt wird, weil das Stechen von Ohrlöchern, das mit dem Tätowieren gleichgesetzt wird, gerade im Vergleich zum Unterspritzen von Falten mit Hyaluron evident nur deutlich geringere Risiken birgt.

Dass der Gesetzgeber für Tätowierungen und Ohrlochstechen anders als im Falle der streitgegenständlichen Faltenunterspritzung kein entsprechendes Verbot vorgesehen hat, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden und verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), nachdem diese Leistungen schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht der Heilkunde oder der Schönheitschirurgie zugerechnet werden bzw. als operativer Eingriff verstanden werden können, sondern dem Gebiet der Kosmetik im weiteren Sinne unterfallen. Auch die Berufsfreiheit der Beklagten (Art. 12 Abs. 1 GG) ist durch die vorgenannte Auslegung nicht verletzt. Zwar unterfällt die Werbung für die Ausübung von Heilkunde grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG (BVerfG GRUR 2007, 720, 721 – Geistheiler). Jedoch stellen die mit dem HWG verfolgten Ziele des Gesundheitsschutzes und des Schutzes gegen wirtschaftliche Übervorteilung besonders schutzbedürftiger Privater hinreichende Gründe des gemeinen Wohls dar, für deren Erreichung die Werbeverbote des HWG erforderlich sind (BVerfG a.a.O. 722). Die Zumutbarkeit für die Beklagten und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ergibt sich daraus, dass den Beklagten mit dem Unterlassungstitel nicht verboten wird, die Behandlung selbst weiter anzubieten und ihnen auch kein vollständiges Werbeverbot, sondern nur ein solches mit Vorher-Nachher-Bildern auferlegt wird. Es bleibt ihnen unbenommen, bis an die Grenze irreführender Werbung ihre Behandlungsansätze und -methoden darzustellen (vgl. BVerfG a.a.O.). Ähnliche Erwägungen greifen Platz, soweit die Werbung vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst sein kann, weil es sich bei dem HWG um ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG handelt und die obigen Ausführungen zur Zumutbarkeit entsprechend gelten.

(3) Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, dass die Werbemaßnahmen von der Ärztekammer Nordrhein genehmigt seien bzw. nicht beanstandet würden. Dem diesbezüglichen Beweisangebot (S. 10 der Berufungsbegründung, Bl. 104 eA) ist schon deshalb nicht nachzugehen, weil nicht ersichtlich ist, dass der Ärztekammer eine wie auch immer geartete Genehmigungsbefugnis für nach dem HWG untersagte Werbeformen zusteht und ein etwaiger Verbotsirrtum – sollte er überhaupt schlüssig dargelegt sein - für den hier in Rede stehenden verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch unbeachtlich ist (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., § 3a Rn. 1.89)

bb) Der Verstoß ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen, wie es bei Verstößen gegen Werbeverbote des HWG der Regelfall ist (BGH GRUR 2019, 1071, 1076 Rn. 57 – Brötchen-Gutschein zu § 7 Abs. 1 HWG). Anhaltspunkte dafür, dass der Schutzzweck des HWG bei einem Vorher-Nachher-Vergleich wie vorliegend ausnahmsweise nicht tangiert wäre bzw. dessen Gefährdung praktisch ausgeschlossen wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. in einer entsprechenden Fallgestaltung ebenso OLG Düsseldorf GRUR 2022, 1768 Rn. 7- Brazilian Butt Lift).

2. Gegen ihre Verpflichtung, dem Kläger die entstandenen und schlüssig dargelegten Abmahnkosten zu erstatten, wenden sich die Beklagten mit der Berufung nicht ausdrücklich, so dass es bei den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verbleibt.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Der Rechtsstreit betrifft lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsgrundsätze im konkreten Einzelfall; entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige abstrakt-generelle Rechtsfragen stellen sich im Verfahren nicht. Die bloße „Betroffenheit“ von Art. 103 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 GG rechtfertigt die Zulassung der Revision entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, zumal keine Verletzung dieser Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte vorliegt, wie oben ausgeführt. Höchstrichterlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der Auslegung des Begriffs des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs ist ebenfalls nicht anzunehmen, nachdem die veröffentliche Rechtsprechung insbesondere der Obergerichte einhellig zu dem Ergebnis kommt, dass in Fällen wie dem Streitfall von dem Eingreifen des Verbots des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HWG auszugehen ist.

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